Phänomen Lateral Violence: Warum hassen alle Meghan Markle?
Egal, ob sie den Opfern der Brände in L.A. hilft oder eine Kochshow dreht: Alle hacken auf Meghan Markle herum. Warum wird sie bloß so sehr gehasst?
Egal, ob sie den Opfern der Brände in L.A. hilft oder eine Kochshow dreht: Alle hacken auf Meghan Markle herum. Warum wird sie bloß so sehr gehasst?
Sie kam zusammen mit ihrem Mann, dem Prinzen, nach Pasadena, um den Opfern der Brände in Kalifornien zu helfen. In Leggings und mit Mundschutz verteilte sie Lebensmittel und Vorräte. Redetet mit den Betroffenen, spendete Trost. Paparazzi filmten Meghan Markle dabei. Kurz darauf brach ein beispielloser Shitstorm über die Herzogin herein. "Meghan Markle und Harry sind nicht besser als Krankenwagenverfolger. Was für ein abstoßender ‘Fototermin’", ließ sich etwa die Schauspielerin Justine Bateman ("Desperate Housewives") auf X über das Paar aus. "Sie leben nicht hier; sie sind Touristen. Katastrophentouristen." Über andere Promis wie Angelina Jolie, die vor Ort halfen, echauffierte sich niemand.
Immer nur Meghan. Alle gegen Meghan. Spätestens, seit sie zusammen mit ihrer Familie dem Königshaus den Rücken gekehrt hat, scheint es egal zu sein, was die 43-Jährige tut: Ob sie nun auf Instagram um ihren toten Hund trauert, in ihrer Netflix-Kochshow Donuts mit selbst gepflückten Blümchen verziert oder Menschen in Not hilft – alles wird gehässig kommentiert. Mehr noch: Die Leute unterstellen ihr Lügen, Ideenklau und eigennützige Motive.
Hassobjekt Nr. 1: Warum Meghan – und nicht Putin, Trump oder P. Diddy?
Ich finde: Es reicht. Dieser übertriebene Hass gegen eine einzelne Frau ist nicht mehr verhältnismäßig. Was bringt eine einflussreiche Prominente wie Justine Bateman, Schwester von Superstar Jason Bateman, dazu, öffentlich so scharf gegen Meghan Markle zu schießen – statt gegen wahre Bösewichte wie Putin, Kim Jong-un oder P. Diddy? "Wenn Frauen andere Frauen abwerten, geht es immer darum, sich selbst aufzuwerten", erklärt die Psychologin Martina Lackner gegenüber BRIGITTE. Dieses Phänomen nennt sich Lateral Violence: Durch Sexismus, Rassismus oder Homophobie benachteiligte Menschen wenden sich als Reaktion auf ihre eigene Unterdrückung gegeneinander. "Dahinter steckt ein Selbstwertproblem. Oft auch Neid und Eifersucht – weil Meghan als Bürgerliche ins Königshaus eingeheiratet hat, gut aussieht, erfolgreiche Schauspielerin war, und es dann noch gewagt hat, ein Tabu zu brechen und aus dem System herauszutreten. Noch dazu ist sie eine nicht-weiße Frau." Hier kommen also Rassismus und Sexismus zusammen. Frauen wie Justine Bateman reproduzieren Sexismus, indem sie andere Frauen abwerten – weil diese angeblich zu laut, zu mächtig, zu sexuell aktiv sind; weil sie Karriere machen oder weil sie – wie im Fall von Meghan – körperlich zu viel Raum einnehmen, indem sie die Öffentlichkeit suchen. Wer also Meghan Markle schlecht macht, wirkt indirekt an der eigenen Unterdrückung mit.
Egal, ob sie Menschen hilft oder kocht: Alle hassen Meghan
Verblüffend trotzdem, dass es immer wieder die ehemalige "Suits"-Darstellerin trifft. Der Trailer zu ihrer neuen Kochshow "With love, Meghan" etwa wurde dieser Tage in einer Kolumne des britischen "Guardian" aufs Gehässigste seziert ("inhaltsleerer, elitärer Tradwife-Alptraum für Leute mit zu viel Geld und Zeit") und auf Social Media ging’s eh hoch her: Meghans Deko-Tipps? Angeblich geklaut. Der Titel? Bei Diana abgekupfert, die ihre Briefe stets mit "With Love, Diana" unterschrieb. Wer Meghans Namen googelt, erhält fast immer ausschließlich negative Headlines.
Meghans großer Fehler? Sie hat sich als Opfer dargestellt
"Meghan hat einen entscheidenden Fehler gemacht“, sagt Lackner. "Nachdem sie aus London weg gegangen war, hat sie sich freiwillig in der Öffentlichkeit als Opfer dargestellt, indem sie von ihren negativen Erfahrungen erzählt hat, ihren Leiden, den Suizidgedanken. Aus dieser Opferrolle kommt sie nun nicht wieder raus. Das Problem: Wenn du deine Kehle hinhältst, beißt auch jemand zu. Ein Putin, Trump oder eine Weidel würden sich niemals selbst als Opfer darstellen, das sind Täter:innen. Sie agieren aggressiv, deshalb werden sie seltener angegriffen."
Meghan ist Opfer und Täterin zugleich – damit macht sie sich doppelt angreifbar
Aber Meghan ist nicht nur Opfer, sondern auch Täterin: Sie hat ihre Stimme genutzt, als sie mit entschieden hat, das Königshaus zu verlassen. "Das macht sie doppelt angreifbar: Die einen ertragen keine selbstbewusste, selbstbestimmte Frau und werfen ihr den Tabu-Bruch vor, die anderen nervt die Opfer-Inszenierung", so Lackner.
Schon häufig wurde Meghan als neue Yoko Ono bezeichnet – Carla Bruni tat es sogar öffentlich, auf Instagram, fiese Fotokollage inklusive. Dabei war es Paul McCartney, der die Beatles offiziell auflöste. Trotzdem muss Ono bis heute als Buhfrau herhalten, genauso wie Meghan für den "Megxit", der natürlich nach ihr benannt wurde. "Frauen werden ungleich stärker kritisiert als Männer", bestätigt auch die Schweizer Politikerin, feministische Autorin und LGBTQ-Aktivistin Anna Rosenwasser gegenüber BRIGITTE. "Das rührt daher, dass uns allen beigebracht wird, die Handlungen von Männern als legitim anzunehmen und diejenigen von Frauen erstmal anzuzweifeln."
"Wir sind es einfach gewohnt, Frauen kritischer anzusehen"
Während die Kritik an Meghan Markle also durchaus berechtigt sein könnte, ist doch auffällig, dass Männer in vergleichbaren Positionen weniger harsch kritisiert werden für ähnliche Handlungen. "Wir sind es einfach gewöhnt, Frauen kritischer anzusehen. Erst recht mächtige Frauen, denn männliche Macht erscheint uns unbewusst selbstverständlicher, ja sogar natürlicher", so Rosenwasser weiter. "Wir reihen uns mit Kritik an Frauen ein in eine Gesellschaft, die so viel öfter über und mit Frauen schimpft, dass es uns nicht mehr auffällt – und wir mitmachen."
Nicht alle Menschen wollen selbstbestimmte Frauen
Das zeigt, dass unsere Gesellschaft längst nicht so modern und liberal ist, wie wir annehmen. "Sonst hätten wir nicht so eine extreme rechtsextremistische Struktur in Deutschland, Österreich und ganz Europa", sagt Martina Lackner. "Zuerst gab es diesen woke-liberalen Trend, aber jetzt schwingt das Pendel zurück." Leider wahr: Nicht alle Menschen wollen selbstbestimmte Frauen – das sehen wir am Beispiel von Meghan Markle ganz deutlich.
Ihre Schwägerin, Prinzessin Kate, ist das Gegenteil: Weil sie keine laute Stimme hat, folgsam ist, ihre Pflicht erfüllt. Sie kommt allerdings aus einem anderen Milieu, man könnte sagen, sie wurde darauf trainiert, Königin zu werden. Deshalb lieben sie die Leute. Meghan hingegen leistete sich auch immer mal einen Fauxpas. Das lud zur Schadenfreude ein. Etwa, als herauskam, dass sie die Interviews für ihren Podcast gar nicht selbst geführt, hinterher lediglich die Fragen eingesprochen hatte, und der Streaming-Riese daraufhin die millionenschwere Zusammenarbeit vorzeitig beendete.
Ich bin kein Meghan-Fan, trotzdem will ich nie wieder über sie lästern!
Und um hier mal die Hosen komplett runterzulassen: Ich bin kein Meghan-Fan, habe mich mit Freund:innen auch schonmal negativ über sie geäußert. Einfach nur so, zum Spaß. Klatsch halt. Macht mich das automatisch zu einer schlechten Feministin? "Nein, das ist normal", sagt Psychologin Martina Lackner. "Die Spaltung Frau gegen Frau ist vom patriarchalen System gewollt, wird uns schon von Kleinauf eingetrichtert." Würden Frauen ernsthaft anfangen, sich auf einer kollektiven Ebenen zu solidarisieren, und nicht gegeneinander vorzugehen, wäre das eine Bedrohung für das System – °wir könnten dann sehr wahrscheinlich das Patriarchat aushebeln", so Lackner. Ärgerlich, dass wir immer noch nicht damit begonnen haben!
Wir müssen unsere unterschwellige Gewalt lernen zu kontrollieren
"Jeder Mensch trage ein unterschwelliges Gewaltthema in sich", so Lackner weiter. „Es gibt Kriegsführer, Femizide und die mildeste Form: Gehässigkeit. Das betrifft die meisten von uns." Das Gute: Wir können aktiv gegenarbeiten, sagt Lackner. "Daran, wie wir mit Randgruppen und Frauen umgehen, erkennen wir den Zustand einer Demokratie. Wie wird Macht gelebt?" Dieses archaische Prinzip des Aufeinander-Losgehens sei früher überlebensnotwendig gewesen. Der extrem starke Überlebenstrieb sei immer noch in uns, auch wenn wir keinen Mammuts mehr jagen müssen, sondern in den Supermarkt gehen können. "Wir haben nur noch gar nicht richtig gecheckt, dass wir dieses Verhalten gar nicht mehr brauchen", so Lackner. Leider neigen wir noch immer dazu, wieder und wieder ins Archaische zurückzufallen. Das sehe man auch in der Ukraine. "Plötzlich haben wir wieder einen Krieg in Europa."
Was wir also tun können, jede:r für sich: Schauen, dass wir unsere unterschwellige Gewalt kontrollieren lernen. Indem wir eben nicht mehr gehässig über andere Frauen herziehen, auch dann nicht, wenn wir es als Klatsch tarnen.
In Pasadena waren die Menschen übrigens froh über Meghans Besuch. "Sie sind großartige Menschen”, sagte der Bürgermeister nach einem Treffen mit den Meghan und Harry. „Sie zeigen ein großes Herz, hierherzukommen und sich mit den Ersthelfern und den betroffenen Menschen zu treffen." Ist das nicht einfach nur: schön?!
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