Psychologie: Gedankenwandern kann auch positive Effekte haben
Erwischst du dich auch manchmal dabei, dass deine Gedanken abdriften, obwohl du dich dagegen wehrst? Was dahinter steckt und warum Gedankenwandern auch positiv sein kann, erfährst du hier.
Erwischst du dich auch manchmal dabei, dass deine Gedanken abdriften, obwohl du dich dagegen wehrst? Was dahinter steckt und warum Gedankenwandern auch positiv sein kann, erfährst du hier.
Es ist Dienstagabend. 19:30 Uhr. Zum Abschluss der wöchentlichen Yoga-Praxis fordert uns die Lehrerin auf – wie jedes Mal am Ende der Stunde – ins Savasana, die Schlussentspannung zu kommen. Sie sagt dann etwas wie, "Verankere das, was du heute in deiner Praxis geschaffen hast tief in dir und lasse deine Gedanken zum Stillstand kommen." Für mein Gedankenkarussell sind ihre Worte die Aufforderung, genau das Gegenteil zu tun. Ich liege rücklings auf meiner Matte und bin sauer. "Shit, warum kann ich nicht mal kurz an gar nichts denken. Und shit, jetzt denke ich auch noch daran, dass nichts zu denken besser wäre, als zu denken."
Gedankenwandern und das emotionale Wohlbefinden
Vermutlich hat jede:r von uns schon mal eine ähnliche Situation erlebt wie meinen wöchentlichen Yoga-Gedankenexkurs. Sei es bei der Arbeit, wenn wir uns vor einer langwierigen und langweiligen Aufgabe drücken wollen und uns gedanklich plötzlich am Strand des letzten Sommerurlaubsziels wiederfinden oder während eines Gesprächs mit der Nachbarin, die ihren Redebedarf mal wieder an uns ablässt. Da ist die Zeit doch besser genutzt, schon mal den Rest des Tages zu planen und im Kopf die To-do-Liste durchzugehen. Dass die Gedanken von der eigentlichen Aufgabe und der unmittelbaren Umgebung abschweifen und sich auf etwas anderes konzentrieren, das nicht durch etwas, was in der Situation geschieht, ausgelöst wird, ist normal und passiert häufig.
Spannend wird es, wenn wir uns fragen, wie sich dieses Abschweifen der Gedanken auf unsere Stimmung auswirkt. Wenn wir beispielsweise bei der Arbeit ständig gedanklich woanders sind, dann wird sich das mit Sicherheit nicht gut auf unsere Leistung auswirken und könnte uns mit einem schlechten Gewissen – und einem Haufen nicht erledigter Aufgaben – zurücklassen. Wenn ich beim Yoga nicht richtig loslassen kann, dann habe ich das Gefühl, dass mir die Selbstkontrolle fehlt und ärgere mich darüber. Es gibt aber definitiv auch Situationen, in denen ich ganz froh darüber bin, mich in meinen Kopf zurückziehen zu können. Zum Beispiel, wenn Onkel Jörg beim Familientreffen wieder stundenlang von seinen Fahrradtouren schwafelt.
Gedankenwandern kann also helfen, negative Emotionen zu regulieren und in einer unangenehmen Situation positive Gefühle hervorzurufen und so einen größeren Konflikt zu verhindern. Wer weiß schon, wie ich auf die Radfahrstories reagieren würde, wenn ich mich nicht zwischenzeitlich mal wo anders hinbeamen würde ...
Neue Studie: Gedankenkarussell mit positivem Outcome
Wissenschaftler:innen von der University of Calgary haben nun eine neue Studie im Wissenschaftsjournal "Psychological Bulletin" veröffentlicht, in der untersucht wird, wie sich das Abschweifen der Gedanken auf das emotionale Wohlbefinden auswirkt. Dazu wurden die Daten von mehr als 23.000 Freiwilligen auf verschiedene relevante Faktoren im Hinblick auf das Gemüt untersucht. Herausgefunden hat das Team, dass sich die Probanden im Durchschnitt eher schlechter fühlten, wenn sie gedanklich abdrifteten. Aber: Nicht das Gedankenwandern per se hat einen schlechten Einfluss auf unser Wohlbefinden, sondern tatsächlich kommt es stark darauf an, an was wir währenddessen denken.
Bei Studienteilnehmer:innen, die sich eher in negative Gedankenspiralen verstrickten, sank das Wohlbefinden dadurch logischerweise deutlich. Und bei jenen, die an etwas Positives dachten, wie an den bevorstehenden Urlaub oder einen Crush, hob sich die Laune. Zudem spielt laut dem Wissenschaftsteam auch noch eine Rolle, ob wir die Gedanken absichtlich abdriften lassen oder es unbeabsichtigt passiert. Beim Ersteren soll man sich nämlich besser fühlen, beim Letzteren eher schlechter. Das erklärt auch, warum ich mich gut fühle, wenn Onkel Jörgs Geschichten an mir abprallen und nicht so gut, wenn ich es beim Savasana wieder nicht geschafft habe, an nichts zu denken. Vielleicht versuche ich das nächste Mal einfach, meine Gedanken loszulassen – aber in dem Sinne, dass es mir dann ganz egal ist, wohin sie wandern.
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