Psychologie: Warum werde ich nicht ernst genommen?
Nicht geachtet zu werden, kann weh tun. Doch welche Gründe hat es, dass manche Menschen weniger Respekt erfahren als andere? Laut Expert:innen können dabei zahlreiche Faktoren eine Rolle spielen.
Nicht geachtet zu werden, kann weh tun. Doch welche Gründe hat es, dass manche Menschen weniger Respekt erfahren als andere? Laut Expert:innen können dabei zahlreiche Faktoren eine Rolle spielen.
Der Mathematiker Georg Cantor entwickelte im Rahmen seiner Forschung im 19. Jahrhundert eine Theorie, der zufolge es, vereinfacht gefasst, unterschiedliche Größen von Unendlichkeit gibt. Es gelang Cantor damals nicht, seinen Zeitgenossen seine Entdeckung nahezubringen, niemand nahm ihn ernst. Für den Forscher hatte das schwerwiegende Konsequenzen: Er sah sich zeitweise gezwungen, sich aus der Mathematik zurückzuziehen. In dieser Phase erkrankte an einer bipolaren Störung, musste später zudem wegen Depressionen stationär behandelt werden.
Heute gilt Cantor als genialer Wissenschaftler, sein Werk als Beitrag, der die Mathematik revolutionierte. Damit ist er ein bekannter Fall einzigartiger Menschen, die ihrer Zeit voraus waren und deshalb nicht verstanden oder gar diskreditiert wurden.
Wir müssen allerdings kein missverstandener Visionär sein, um zu spüren, was es heißt, nicht ernst genommen zu werden. Von unserer Ausdrucksweise über unseren Kleidungsstil bis hin zu unserem Umgang mit Fehlern: Anlässe, gering geschätzt zu werden, können wir laut Karriere-Coaches und Psychologinnen sehr viele schaffen. Während einige davon eher mit den Leuten zu tun haben, die uns wahrnehmen, liegen andere vorwiegend an uns selbst – und damit in unserer Hand. Die meisten Gründe, die Expert:innen dafür anführen, dass Menschen weniger ernst genommen werden, lassen sich einer der folgenden Kategorien zuordnen.
Vier mögliche Gründe, warum andere dich nicht ernst nehmen
Du entsprichst nicht ihrem Bild einer Autoritätsperson.
Vor allem durch unsere soziale Prägung haben wir einen Stereotyp einer unbedingt ernstzunehmenden Person. In unserer patriarchalen Gesellschaftsstruktur ist dieser tendenziell männlich. Darüber hinaus ist er weder sehr untergewichtig noch übergewichtig und keinesfalls allzu jung, schreibt US-Psychologe Leon Seltzer in einem Beitrag für "Psychology Today". Er gehört keiner ehtnischen Minderheit an und trägt gepflegte Kleidung. Menschen, die nicht diesem Typ entsprechen, können wir zwar ebenfalls ernst nehmen und tun es auch. Doch je weiter wir selbst von dem gesellschaftlich gestützten Bild einer starken Autoritätsperson abweichen, umso weniger können wir davon ausgehen, dass andere uns von vornherein achten und als ernstzunehmend einstufen.
Dich ernst zu nehmen, würde ihre Position schwächen.
An anderer Stelle schreibt Leon Seltzer in einem Beitrag, dass es in einem wettbewerbsorientierten Umfeld schwer sein kann, ernstgenommen zu werden – denn in solch einem Milieu legen Menschen einen großen Fokus darauf, ihren eigenen Status zu stärken.
Was für diesen Sonderfall in ausgeprägter Weise gelten mag, lässt sich aber auch auf unseren Alltag übertragen. Menschen möchten sich gut und sicher fühlen. Sie wünschen sich Bestätigung, Gewissheit, dass sie alles richtig machen. Wenn wir nun zum Beispiel anderen gegenüber eine Sichtweise äußern, die ihrer widerspricht – oder gar völlig anders leben als sie, können sie das als Bedrohung ihres Status empfinden. Anstatt sich selbst zu reflektieren und gegebenenfalls umzudenken, befinden sie lieber uns als nicht ernstzunehmend – das stärkt ihren Standpunkt und erspart ihnen Aufwand.
Du nimmst dich selbst nicht ernst.
Die Coachin und Unternehmensgründerin Maria Mollen geht in einem Artikel für "Linkedin" darauf ein, inwiefern unsere Einstellung zu uns selbst die Wahrnehmung anderer Menschen von uns beeinflussen kann. Geben wir stets den Klassenclown, machen uns über uns selbst lustig, stehen nicht für uns ein, wenn es darauf ankommt, vermitteln wir unserem Umfeld den Eindruck, es müsste uns nicht ernst nehmen.
Leon Seltzer nennt in seinem Beitrag die Beziehung zu sich selbst ebenfalls als zentralen Faktor dafür, wie viel Achtung uns unsere Mitmenschen entgegenbringen. Haben wir etwa in unserer Kindheit gelernt und verinnerlicht, dass wir weniger wert sind als andere, kann uns das auch als Erwachsenen unsicher und selbstzweifelnd wirken lassen. Das wiederum kann die Einschätzung anderer Personen beeinflussen und dazu führen, dass sie uns eine geringe Autorität zusprechen.
Du wirkst unglaubwürdig.
Nach Einschätzung der Expert:innen führen einige Verhaltensweisen und Gewohnheiten dazu, dass wir Menschen weniger ernst nehmen – oder sie uns. So wirke es sich laut Maria Mollen respektmindernd aus, wenn wir nicht zu unserem Wort stünden und keine Verantwortung für unsere Fehler übernähmen. Leon Seltzer kann es außerdem Geringschätzung begünstigen, wenn wir zu starken Gefühlsausbrüchen neigen und deutlich emotionaler reagieren als die meisten anderen. Außerdem nennt der Psychologe Verträumtheit, Unstrukturiertheit, Inkonsequenz und extreme Gesprächigkeit. Immer allem zuzustimmen und niemals zu widersprechen wirke ihm zufolge ebenfalls unglaubwürdig.
Was wir ab sofort stets tun können
Von anderen Personen nicht ernst genommen zu werden, ist für die meisten Menschen schwer zu verkraften. "Ein Mensch zu sein heißt, Angst vor der eigenen Lächerlichkeit zu haben, deshalb tun wir alles, um das Lächerliche zu verbergen.", schreibt der britische Autor Matt Haig in seinem Roman "The Life Impossible". "Wir kleiden unsere Körper, [...] weinen nicht bei der Post oder singen auf der Straße und wir versuchen unsere Ideen vereinbar damit zu halten, was wir denken sollten."
Wir können an uns arbeiten und öfter Nein sagen. Trotzdem können wir andere Menschen niemals dazu zwingen, uns ernst zu nehmen. Wir können uns allerdings darum bemühen, sowohl uns selbst als auch andere bewusster zu achten. Denn ob wir ein verkanntes Genie sind, zufällig mit einer außergewöhnlich hohe Stimme sprechen oder Pech in unserer Kindheit hatten – wir machen alle ähnliches durch.
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