Opfer von Love Scamming berichtet: “Ich habe ihm meine gesamten Ersparnisse gegeben!"
Fake-Profile, vorgetäuschte Liebe: Immer mehr Frauen verlieren hohe Geldsummen an Liebesbetrüger aus dem Netz. Eine Betroffene berichtet, wie es so weit kommen konnte und warum sie glaubt, dass es jede treffen kann
Fake-Profile, vorgetäuschte Liebe: Immer mehr Frauen verlieren hohe Geldsummen an Liebesbetrüger aus dem Netz. Eine Betroffene berichtet, wie es so weit kommen konnte und warum sie glaubt, dass es jede treffen kann
Niemals hätte Nathalie* gedacht, dass sie einmal auf einen Love Scammer hereinfallen würde. Nicht sie, die täglich, auch beruflich, in den sozialen Medien unterwegs ist. Die attraktiv ist, klug, erfolgreich. Die wie die meisten Millenials regelmäßig Online datet, und wie so viele die berühmte Netflix-Doku "Der Tinder-Schwindler" gesehen hat – über einen Hochstapler, der mit Romance Scam über Tinder seine Luxusausgaben bestritt und (junge attraktive!) Frauen finanziell ausnahm wie Weihnachtsgänse.
Eben dachte sie noch: "Sowas könnte mir nie passieren!"
"Sowas passiert bloß einsamen, älteren Frauen jenseits der 50, die sich freuen, wenn sie mal jemand anschreibt", hat Nathalie immer gedacht. Sie ist weder einsam noch verzweifelt, als sie vor drei Jahren anfängt, mit Ben* zu schreiben, nachdem er – dieser gut aussehende, 42-jährige Inhaber einer Castingagentur in L.A. – zuerst einige ihrer Instagram-Postings geliked und schließlich in ihre DMs geslided war. Die beiden tauschten sich über Kunst und Filme aus. Abends auf dem Sofa, während sie ihre Serie schaute. Eine willkommene Abwechslung zu ihrem Joballtag. Dazu ein Glas Wein. Wieso nicht?
Andere Männer gab es in ihrem Leben gerade nicht. Nur Flops in letzter Zeit. Beziehungsunfähige, Vergebene, Berufsjugendliche. Ben scheint anders zu sein. So aufmerksam und zuverlässig. Sie haben viele gemeinsame Interessen, können sich auch beruflich austauschen. Sie im Marketing, er als Casting Director.
Zuckersüße Nachrichten und Telefonate, nur kein Videocall
"Morgens, wenn ich aufwachte, hatte ich immer schon liebevolle Nachrichten von ihm auf dem Handy", erzählt Nathalie. Oft fiebert sie den ganzen Tag auf ihre Telefonate am Abend hin, Verabredungen mit anderen, realen Leuten interessieren sie immer weniger. Nathalie war verknallt! Deep Talk bis vier Uhr morgens. Schmetterlinge im Bauch. Irgendwann auch: Sexting. Nathalie wird regelrecht süchtig nach Ben, seinen Komplimenten. Seiner Stimme. Sehnsucht. Versprechungen. Zukunftspläne. "Er sprach immer wieder davon, wie gerne er mich treffen würde, dass er mir einen Flug nach Kalifornien buchen wolle und dass ich in seine Firma einstiegen solle." Bloß Videocalls lehnt Ben – angeblich aus technischen Gründen – ab. Außerdem findet sie zu seiner Castingagentur lediglich einen Facebookeintrag. Alles Warnzeichen, die Nathalie ignoriert – "weil ich das mit ihm und Kalifornien so sehr wollte". Neustart in Hollywood – wer hat schon solch ein Glück? Ihre Freundinnen sind skeptisch. Manchmal ist Nathalie es auch. Etwa, als Ben sie eines Tages um Geld bittet. Für ein neues Projekt, an dem auch Tom Cruise beteiligt sein soll, braucht er ihre finanzielle Unterstützung. Danach hätten sie wahrscheinlich ausgesorgt. Ben jammert, macht Druck. Nathalie überweist ihm schließlich 3000 Euro.
Geld überwiesen, Profil gelöscht – Mann weg
Am nächsten Tag ist Bens Instagram-Profil gelöscht. Er geht nicht mehr ans Telefon, hat Nathalie bei WhatsApp blockiert. Ein Schlag in die Magengrube. Nathalie kann die Wahrheit zuerst nicht glauben, versucht Ben auf allen möglichen Kanälen zu erreichen, doch er ist wie vom Erdboden verschluckt. Die Scham ist groß, der Kummer wegen eines Mannes, den es nie gab, noch größer. Nathalie hat Selbstmordgedanken, ihr Selbstwertgefühl ist wie ausradiert. Ihre Schwester überredet sie schließlich zur Polizei zu gehen, um Anzeige zu erstatten. Ein mutiger Schritt, den nur wenige Betroffenen gehen, weil die Scham zu groß ist.
Immer mehr Jüngere fallen auf Scams rein
2023 wurden allein in Sachsen 368 Fälle des Phänomens Love Scamming polizeilich registriert, die einen Schaden von 4,6 Millionen Euro verursacht haben. Die Dunkelziffer ist wesentlich höher. "Betroffen sein kann jeder und die Überzeugung, selbst nie in eine solche Situation zu geraten, ist gefährlich und trügerisch", warnt die Polizei Sachsen. Das Risiko, Opfer eines Love Scammings zu werden, ließe sich nicht aufgrund des Alters, der beruflichen Position oder des Bildungsstands ableiten. In einer Umfrage von Barclays gaben 51 Prozent der 21- bis 30-Jährigen an, in Dating-Apps immer mehr verdächtige Nachrichten zu bekommen.
Und obwohl über die Hälfte der Befragten angaben, sehr sicher zu sein, dass ihnen könnte so etwas nie passieren, ist die Wahrscheinlichkeit bei ihnen mittlerweile trotzdem doppelt so hoch wie bei den 51- bis 60-Jährigen. Da helfen auch technische Skills und Internet-Erfahrenheit nichts. Verrückterweise ist es sogar so: Wer sich überhaupt nicht vorstellen kann, dass die Person, mit der man schreibt, ein Betrüger sein könnte, ist besonders anfällig und übersieht Warnsignale. "Scammer nutzen psychologische Strategien auf höchstem Niveau, um an ihr Ziel zu gelangen: an das Geld des potenziellen Opfers", so die Erklärung der Polizei. Durch intensiven Kontakt und stetige Liebesbekundungen von morgens bis abends sorgen sie dafür, dass sich die Betroffenen verpflichtet fühlten, ihre Gesten und schönen Worte zu erwidern. Also emotionale Manipulation auf höchstem Niveau. Irgendwann käme der "point of no return" – die Betroffenen sind blind geworden vor Liebe.
Frau überweist 150.000 Euro an falschen Brad Pitt
Das zeigt ein besonders kurioser Fall von Love-Scamming, der kurz vor Weihnachten für Schlagzeilen sorgte: "Brad Pitt" meldete sich über Social Media bei einer Österreicherin, schickt ihr zwischen 2021 und 2024 zahlreiche Nachrichten und bat sie schließlich, ihm finanziell auszuhelfen – der Scheidungskrieg mit seiner Ex-Frau Angelina Jolie sei so verdammt teuer, er habe Geldprobleme. Um den armen Hollywoodstar zu unterstützen, überwies die Frau ihm nicht nur all ihre Ersparnisse, sondern nahm auch noch einen Kredit auf – insgesamt überweist sie dem Pleite-Pitt 150.000 Euro in Kryptowährungen.
Etwas Positives hat das Ganze: Es wird öffentlich über diese Fälle geredet. Dadurch werden Menschen, die im Internet nach der großen oder zumindest irgendeiner Liebe suchen, wachsamer. Außerdem gibt es zunehmend Tools, die etwa von Tinder eingesetzt werden, um Fake-Profile leichter zu enttarnen. Hier kannst du nachlesen, wie du dich beim Online-Dating – heute schließlich eine der normalsten Sachen der Welt – vor Scammern schützen kannst.
(*Namen geändert)
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