Tiefer Süden: Die unbekannte Schwester der Provence hat einige Überraschungen zu bieten

Zwischen Pyrenäen und Mittelmeer liegt das Roussillon: Die deutlich unbekanntere Schwester der Provence – noch Frankreich, aber fast schon Spanien – hat es unserer Autorin angetan.

May 25, 2025 - 23:05
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Tiefer Süden: Die unbekannte Schwester der Provence hat einige Überraschungen zu bieten

Zwischen Pyrenäen und Mittelmeer liegt das Roussillon: Die deutlich unbekanntere Schwester der Provence – noch Frankreich, aber fast schon Spanien – hat es unserer Autorin angetan.

Radio "Nostalgie" an, Musik laut drehen, Fenster auf und Platanenalleen, Pfirsichbäume, Weinberge und Pinienduft vorbeiziehen lassen: Schon auf der Fahrt über die Serpentinen hoch ins Dorf kommt Feriengefühl auf. Doch statt des Willkommens-Drinks auf der Terrasse gibt es dann eine kalte Dusche – die Hitze entlädt sich in einem Riesengewitter. Das Wasser schießt in Fontänen über die Straße, in den Garten und ergießt sich in den Pool. Der färbt sich schwarz und droht überzulaufen. Na wunderbar… Ausgerechnet heute!

Roussillon: Liebe auf den ersten Blick

Eigentlich ist die Schule ja das Urlaubsdomizil unserer Großfamilie, immerhin zwölf Menschen plus Hund. Doch diesmal sind mein Mann Michael und ich allein gekommen – und warten nun auf unsere Freunde Mary und Peter. Und denen möchten wir unser Herzensprojekt und das Roussillon schließlich von seinen schönsten Seiten zeigen.

Seit ich denken kann, heißt Sommer für mich Südfrankreich. Früher hat es mich in das Languedoc Richtung Montpellier gezogen, wo meine Eltern einige Jahre gelebt haben, als ich klein war. Der Soundtrack meiner Jugend: "Volare" und "Bamboleo" von den Gipsy Kings, die aus der Camargue zwischen Arles und Montpellier kommen. Doch mein Bruder Christoph bewegte uns dazu, unser Ferienhaus-Glück zwei Stunden weiter südwestlich im Roussillon, einer Region im Département Pyrénées-Orientales zu suchen. Vor drei Jahren fand er die alte Schule in einem 100-Seelen-Ort in den Hügeln über Perpignan. Meine Schwester Annick, meine Mutter und ich sahen seine Begeisterung und stürzten uns kopfüber ins Familienabenteuer.

Das Schulhaus war eindeutig ein "Coup de Coeur", Liebe auf den ersten Blick: die dunklen Dielen, alten Wände, hohen Decken und bröselnden Fensterrahmen haben viel erlebt. Von 1870 bis 1940 wurden hier die Kinder der umliegenden Dörfer unterrichtet, später war es Rathaus, Kultur- und Gemeindezentrum, bevor es in den 1980er-Jahren zum Ferienhaus umfunktioniert wurde.

Vor den Fenstern zirpen Grillen, im Garten wachsen Zitronenbäume und Manda-Limes, eine Kreuzung aus Mandarinen und Limetten, und die Drachenköpfe an den grünen Keramik-Regenrinnen scheinen über alles zu wachen. Die Umgebung: traumschön, eine Gegend, die entdeckt werden will. Zwischen Pyrenäen und Mittelmeer gibt es so viel zu sehen, und Spanien ist auch nicht weit – 40 Minuten mit dem Auto, und wir können in Figueres, Geburtsort des Maler-Genies Salvador Dalí, über die Rambla flanieren.

Vielfalt pur

Der nächste Morgen versöhnt mich sofort wieder mit dem Süden. Nach dem Regen duften die Pinien umso intensiver, der Himmel ist blau, und die Zitronenbäume "singen" – überall ploppen kleine grüne Früchte auf. Für unsere Freunde starten wir die Frankreich-Charme-Offensive, denn Mary und Peter sind erklärte Italien-Fans.

"Mal Meer, mal Berge, mal Stadt: Das ist das Tolle hier", schwärme ich ihnen vor. Auf dem Markt in Thuir, 15 Autominuten südwestlich von Perpignan, kaufen wir Melone, Pfirsiche, Tomaten ein und Käse bei Monsieur Sébastien, an dem ein Stand-up-Comedian verloren gegangen ist. Der "Marché" am Samstagvormittag ist eines meiner Lieblingsrituale: unter der großen Platane gemütlich Baguette und Croissants frühstücken, dann an den Obstständen vorbei und durch die Boutiquen bummeln, Boho-Sommer-Flatterkleider anprobieren und zum Apéro auf einen "Byrrh"-Tonic.

Auf dem Markt in Thuir machen die Auslagen Appetit
Auf dem Markt in Thuir machen die Auslagen Appetit
© Peter Schreiber

"Byrrh" klingt zwar nach Bier, ist aber so was wie der Apérol der 1920er – der rote, bittersüße Likörwein mit Chinin, Kaffee- und Kakaonoten wurde früher von Thuir nach überallhin exportiert. Klar, dass wir auch die Fabrik besichtigen. Wir staunen über das damals größte Holzfass der Welt, in das mehr als eine Million Liter passten, und über die Verladehalle, die von Gustave Eiffel höchstpersönlich entworfen wurde. Bis in die 1950er haben über 10 000 Menschen in der Kellerei gearbeitet und den Ort und die Unternehmer-Familie Violet reich gemacht. Im Park mit rosa Fabrikanten-Villa werden seit Neuestem im Sommer Open-Air-Konzerte und Festivals veranstaltet.

Das pure Leben in den Straßen

Wir fahren durch Weinberge und Katharerland im Landesinneren und erklimmen die Burgruine von Quéribus, die sich an diesem Tag wie ein Wolkenschloss dramatisch in Nebel hüllt. In ihren Pyrenäen-Festungen haben sich die Katharer, im Mittelalter eine alternative religiöse Gemeinschaft, vor den Verfolgern aus dem katholischen Frankreich und Spanien versteckt. An klaren Tagen sieht man von der Burg auf der Felsnadel kilometerweit und bis zum Meer. Heute können wir es nur erahnen.

In Leucate, einem bekannten Windsurfspot, der zwischen Perpignan und Narbonne liegt, gehen wir baden und schauen am langen Sandstrand den Kiterinnen und Kitern zu, die in den Wellen Luftsprünge machen. Wir essen Austern, Muscheln und "Bigorneaux", Meeresschnecken, die in Buden auf Stelzen über dem Wasser serviert werden. "Frischer geht’s nicht", sagt der Kellner im Ringelshirt grinsend, als er unsere skeptischen Blicke sieht und uns erklärt, wie man die Schnecken aus ihrem Haus ziehen muss.

Der kilometerlange Strand bei Leucate
Der kilometerlange Strand bei Leucate
© Peter Schreiber

Abends flanieren wir durch Perpignan, die Metropole des Roussillon, die sich schon sehr spanisch gibt. Die Steine sind noch warm von der Sonne, und in den Gassen zeugen all die neuen kleinen Restaurants, Cafés und Secondhandläden von Aufbruchstimmung. Michael, mein Mann, kennt die halbe Stadt, grüßt Carlo aus Italien und Lotte aus Berlin, die das charmante Café "tudio Panino" aufgemacht haben, plaudert mit Iris vom Restaurant gegenüber.

Auf dem Platz vor der Kathedrale stehen großformatige Schwarz-Weiß-Fotografien: ein Eisbär auf einer Scholle, ein Elefant in der Savanne. Die Bilder sind ein sicheres Indiz dafür, dass das berühmte Festival für Fotojournalismus "Visa pour l’image" läuft. Wenn jedes Jahr im Spätsommer die Arbeiten aus aller Welt Kloster, Kirchen und Stadtpalais schmücken, strömen das internationale Fachpublikum und buchstäblich Schaulustige durch Perpignan, und auf den Restaurantterrassen summt das bunte Sprachengemisch.

Die Schönheit steckt an

Spätestens bei Rosé und Tapas müssen Mary und Peter zugeben, dass es auch in Frankreich wirklich schön ist. Punkt für Michael und mich, yay! Und dabei haben die beiden meinen absoluten Lieblings-Spot noch gar nicht gesehen: die Eremitage von Sant Martì de la Roca.

Die Einsiedelei Sant Martì de la Roca
Die Einsiedelei Sant Martì de la Roca
© Peter Schreiber

Morgens um halb sechs wandern wir den Hügel hoch, auf dem die kleine trutzige Kapelle und eine einsame Steineiche stehen – von dort schaut man weit über die Ebene bis zur sanft geschwungenen Küstenlinie und an klaren Tagen bis zum Cap de Creus in Spanien. Auf der anderen Seite erhebt sich 2785 Meter stolz der Canigou, der heilige Berg der Katalanen, der oft noch bis in den April hinein einen Mantel aus Schnee trägt. Ein magischer Moment, als die Sonne über dem Meer aufgeht und den Himmel orange flutet. Wir sitzen einfach nur da. Ohne Worte und voller Dankbarkeit.

In den natürlichen Becken des Flusses Verdouble bei Cucugnan kann man sich in den Sommermonaten wunderbar runterkühlen
In den natürlichen Becken des Flusses Verdouble bei Cucugnan kann man sich in den Sommermonaten wunderbar runterkühlen
© Peter Schreiber

Nathalies Tipps fürs Roussillon

Hinkommen & Rumkommen

Im Sommer fahren Nachtzüge ("ntercités de Nuit") ab Paris nach Perpignan (Liegewagen ab 21 Euro, sncf-voyageurs.com). Oder man fliegt mit Air France über Paris (hin und zurück ca. 400 Euro). Günstiger ist der Flug nach Toulouse (ca. 190 Euro). Die Fahrt mit dem Mietwagen von dort nach Perpignan dauert ca. zwei Stunden.

Übernachten

Mas del Roc.

Von der Pool-Terrasse des Gästehauses schaut man über die Ebene bis zum Meer. Die vier Bungalows liegen auf dem Gelände verteilt unter einer Felswand. DZ/F ab 120 Euro (Camélas, Mas del Roc, Tel. 04 68 53 05 43, masdelroc.com).

Les Cabanons de L’Ouille.

Glamping unter Pinien an einer Bucht bei Collioure (Zelte und Cabanes, einige mit Jacuzzi). Sind die Tagesbadegäste weg, wird es am Strand ganz ruhig und friedlich. Zelt für zwei inkl. F, mind. zwei Nächte, ab 360 Euro (Collioure, Plage de l’Ouille, Tel. 06 28 13 82 35, louille.fr).

La Figuera.

Einzige Unterkunft (mit Crêperie) im Bilderbuchort Le Castelnou, idyllisch in Stufen unter der Burg gelegen. Jedes der fünf Zimmer ist anders. Wer von einem Hotelchen im Süden träumt, kann das Haus auch kaufen. DZ/F ab 90 Euro, mind. drei Nächte (Castelnou, Rue de la Font d’aval, Tel. 06 59 35 40 00, la-figuera.com).

Geniessen

Robinson Xiringuito.

Einsame-Insel-Feeling am langen Sandstrand: auf einer Liege faulenzen und den Wellen zuschauen, mittags kurz einen Pareo umbinden und Fisch vom Grill essen (ab 25 Euro), abends einen Mojito schlürfen – ein perfekter Tag (Canet-en-Roussillon, Prom. Charles Trenet, Tel. 062 62 34 22, facebook.com/robinsonxiringuito/).

Le Bistrot des Caves.

Chef Jean-Baptiste kreiert leckere Gerichte, gern mit einem originellen Twist, Caroline kümmert sich um die Gäste, und auf der Terrasse gleich gegenüber der "Byrrh"-Kellerei sitzt man wirklich nett. Sehr zu empfehlen: das Mittagsmenü für ca. 22 Euro. Unbedingt reservieren (Thuir, Rue Graffan, Tel. 04 68 35 14 16).

Le Petit Bigorneau.

Das "Le Petit Bigorneau" ist eine der Buden, die auf Stelzen im Wasser bei Leucate stehen. Meeresfrüchte kommen hier von der Lagune direkt auf die Holztische (Leucate, Tel. 04 68 44 99 80lepetitbigorneau.fr)


© Peter Schreiber

Käse & Gute Laune

Am Samstag ist Markt in Thuir, einer Kleinstadt am Fuße der Pyrenäen. Bunte Tomaten, süße Pfirsiche, Oliven, Käse, Kleider, Korkenzieher: Hier gibt es alles! Danach trifft man sich zum Apéro in den umliegenden Bars und Cafés (8–12.30 Uhr, aspres-thuir.com)

Einkaufen

Les Toiles du Soleil

Das Einrichtungsgeschäft am Platz vor der Kathedrale von Perpignan ist eine super Inspiration, und die bunt gestreiften Stoffe bringen den Süden ins Haus: als Tischdecken, Sets oder Liegestuhl (lestoilesdusoleil.com).

Erleben

Katharerburgen

Quéribus, Peyrepertuse und Montségur heißen einige der berühmtesten Festungen der Katharer, einer frühen religiösen Gemeinschaft, um die sich zahlreiche Legenden ranken (payscathare.org).

Wandern

In der Region gibt es tolle Routen – in den Pyrenäen, aber auch am Meer. Eine der schönsten Strecken ist der "Sentier littoral", der Küstenweg von Bucht zu Bucht, am Steilufer von Argelès bis Cerbère: insgesamt 87 Kilometer lang. Wer mag, kann für ein Stück aber auch den Bus nehmen (Infos: tourisme-pyrenees-mediterranee.com).

Ausprobieren

Ferienhäuser im Roussillon zum Mieten gibt es zum Beispiel bei fewo-direkt.de, airbnb.de, gites-de-france.com. Oder mal ganz anders via Haustausch einchecken – über homeexchange.com

Hingehen & Staunen

Von Ende August bis Mitte September findet in Perpignan das berühmte Reportage-Fotofestival "Visa pour l’image" statt. Die beeindruckenden Arbeiten renommierter Fotograf:innen werden in der ganzen Stadt gezeigt – bei freiem Eintritt (visapourlimage.com)


© Peter Schreiber

Gut zu wissen

Im Juli und August sind in Frankreich Schulferien, dann wird es überall und zum Teil auch richtig voll. In der Vor- und Nachsaison, im Juni oder September hingegen hat man mit Glück sogar den Strand ganz für sich allein.

Telefon

Die Vorwahl von Frankreich lautet 00 33.