Vom Aufbau zur Verankerung – UX-Exzellenz in der Finanzbranche #experiencecampfire
UX in der Finanzbranche – das klingt für manche nach regulatorischem Spagat, komplexen Prozessen und Produkten, die vor lauter Sicherheit kaum noch Nutzerfreundlichkeit […]

UX in der Finanzbranche – das klingt für manche nach regulatorischem Spagat, komplexen Prozessen und Produkten, die vor lauter Sicherheit kaum noch Nutzerfreundlichkeit zulassen. Doch unser Campfire-Gast Miriam Leparoux hat eindrucksvoll gezeigt: Es geht auch anders – sogar sehr viel besser. Als Managing Director UX/UI bei comdirect – einer Marke der Commerzbank AG – hat sie nicht nur UX fest in der Organisation verankert, sondern auch eine ganze Denkweise etabliert, die Kund:innen und ihre Bedürfnisse ernst nimmt.
Wir haben beim Campfire über Organisation, Mindset, KPIs, UX-Research, Barrierefreiheit, allgemeinen Veränderungen in der Finanzbranche und eine gemeinsame Gestaltungskultur gesprochen.
Aber lies selbst: Ich habe wieder versucht, die wichtigsten Aspekte aus dem Experience Campfire für Dich zusammenzufassen.
UX in der Bank: So kam Miriam dazu
Miriam hat nach ihrem Studium bei einem dänischen Finanz-Startup angefangen, sich mit digitalen Kundenerlebnissen zu beschäftigen – in einer Zeit, als Kunden-Onboarding noch Papierkram bedeutete.
“Eigentlich war das für mich der Punkt, an dem ich wirklich angefangen habe, mich sehr sehr für UX zu interessieren. Wie kann man Bank-Themen gut an die Menschen vermitteln, ohne dass wir dafür einen Menschen brauchen?”
Heute leitet sie bei comdirect ein UX- & UI-Team mit 28 Spezialist:innen und ist verantwortlich für Web, App, UX-Research und UX-Design.

Wie UX bei comdirect organisiert ist
UX ist bei comdirect fachlich organisiert – kein Anhang von IT oder Marketing, sondern ein eigener Bereich. Dieser ist teilweise als Cluster mit klaren Zellen (Cells) für mobile Apps, die Webseite, konzeptionelle Projektbegleitung und UX-Research organisiert. Diese Struktur sorgt dafür, dass UX frühzeitig in Projekte eingebunden werden kann.
Die UX-Fachabteilung unterstützt aber nicht nur bei Projekten. Sie ist darüber hinaus auch dafür verantwortlich, dass sich User Centered Design im Unternehmen weiter etabliert.
Weiterhin ist die UX-Fachabteilung für die Webseite und die App verantwortlich. Auf diese Weise vermeidet Miriam das Entstehen eines Elfenbeinturms. UX ist auch im Operativen immer nah dran – an Kund:innen und Fachabteilungen.
Das zentrale UX-Team besteht aus UX-Designer:innen, Service-Designer:innen, UI-Designer:innen, Product Owner:innen für Webseite und App sowie CMS-Expert:innen.
UX ist schon ab der Initiierung von Vorhaben in den Entwicklungsprozess integriert. Dort geben sie eine UX-Einschätzung ab, schreiben mit an Anforderungen und Akzeptanzkriterien und stellen UX-Pat:innen für Projekte.
Das Ziel: nicht erst UX-Feuer löschen, wenn’s brennt – sondern von Anfang an mitdenken.
Was Miriam antreibt, ist der Wunsch, UX in der Breite wirksam zu machen. Für sie bedeutet Design nicht Deko – sondern Gestaltung von echten Lösungen. Sie will User Centered Design nicht zentral verwalten, sondern im Unternehmen dezentral ermöglichen. Mit klarer Governance, aber auch mit Freiräumen, damit Teams selbst wirksam werden können.
UX-Research als Fundament
Was Miriam besonders wichtig ist: Research ist keine Kür, sondern Pflicht. Ihr Team misst, testet und validiert alles – mit eigenen KPIs, qualitativen Studien und markenbasierten Werten. Dazu gehört auch der Mut, Projekte nicht umzusetzen, wenn Tests klar zeigen, dass es keinen Mehrwert gibt.
Frühes User Research ist dabei kein Selbstläufer. Es war harte Überzeugungsarbeit, gerade im Banken-Umfeld mit vielen regulatorischen Vorgaben. Der Trick? Das Management einfach mal ins UX-Lab einladen. Wenn man sieben Menschen zusieht, die dieselbe Sache nicht verstehen, dann wird selbst der überzeugteste Produktspezialist nachdenklich. Und es hilft, am Ball zu bleiben und UX-Maßnahmen immer wieder ins Gespräch zu bringen.
UX-Research ist im regulierten Bankenumfeld nicht einfach. Vor allem, weil der Datenschutz insbesondere zu berücksichtigen ist. Immerhin geht es um sensible Daten und Vorgänge.
Trotz aller Herausforderungen ist UX-Research heute bei comdirect ein wesentliches Fundament.
Personalisierte User Interfaces: Zwischen Enabling und Bevormundung
Ein besonders spannender Punkt im Campfire war die Frage: Wie können Daten genutzt werden, um Nutzer:innen besser bei Finanzentscheidungen zu unterstützen – ohne sie zu bevormunden?
Miriam brachte das Thema auf den Punkt: Ja, natürlich könnte man aus Nutzerverhalten ableiten, welches Produkt jemand als nächstes braucht oder welche Entscheidung jetzt getroffen werden sollte. Aber: Nur weil man etwas könnte, heißt das nicht, dass man es auch tun sollte.
„Ich vergleiche das mit einem Spiegel, der dir morgens ungefragt sagt, dass du 2 Kilo zugenommen hast. Das willst du vor dem Zähneputzen nicht hören.“
Gerade im Finanzkontext ist die Nutzung von Verhaltensdaten ein sensibles Thema. Vertrauen spielt eine zentrale Rolle und muss auf jeden Fall erhalten bleiben. Die Kunst liegt darin, Kund:innen zu enablen – ihnen passende Informationen oder Hinweise zu geben, wenn sie es wollen. Miriam sieht darin eine große UX-Aufgabe: Wie können Anwender:innen unterstützt werden, aber ohne dass es intrusiv ist.
Das Ziel sind personalisierte Interfaces mit Haltung: individuell, aber nicht intrusiv – unterstützend, aber nicht übergriffig.
Barrierefreiheit
Barrierefreiheit – oft ein Thema, das mit Pflicht und Aufwand verbunden wird. Bei comdirect ist es anders. Miriam und ihr Team sehen Accessibility als Chance, Dinge besser, verständlicher und inklusiver zu gestalten.
Natürlich gibt es auch hier Herausforderungen. Viele digitale Produkte sind Bestandsprodukte und barrierefreie Gestaltung wurde früher noch nicht so intensiv berücksichtigt wie heute. Die Lösung: ein strukturiertes Audit, das Problemstellen aufzeigt, und dann Schritt für Schritt daran arbeiten. Miriam war es dabei wichtig, nicht nur technische Richtlinien abzuarbeiten, sondern den Menschen im Blick zu behalten. Leichte Sprache, Farbwahrnehmung, kontextuelle Verständlichkeit – all das gehört für sie dazu.
Ein starkes Beispiel war der Besuch des Teams im Dialoghaus Hamburg – bei „Dialog im Dunkeln“ und „Dialog im Stillen“. Das Team hat dort ganz konkret erlebt, wie sich Barrieren anfühlen – und wie man sie abbauen kann. Genau diese Haltung prägt nun auch die Weiterentwicklung der comdirect-Produkte.
„Accessibility ist keine Pflicht – es ist eine Chance, Dinge verständlicher zu machen.“
Die Finanzbranche im Wandel
Die Branche selbst verändert sich. Finanzen sind kein Experten-Thema mehr – junge Menschen reden offen über Aktien, Geldanlage und Altersvorsorge. Das bedeutet aber auch: Die User Interfaces müssen einfacher, schneller und zugänglicher werden. Wer Nutzer:innen wirklich befähigen will, braucht klare Sprache, einfache Abläufe und intuitive Interfaces.
„Früher war Geldanlage ein Experten-Thema. Heute sagen Menschen: Ich will eine Aktie kaufen. Punkt.“
Blick nach vorn: UX als gemeinsame Gestaltungskultur
Auf die Frage, was inhaltlich in den nächsten Jahren ansteht, war Miriams Antwort klar – und zugleich eine kleine Einladung zum Umdenken: Design darf kein Elfenbeinturm sein. Das gestalterische Denken soll weiter im Unternehmen verankert werden.
Für sie bedeutet UX nicht, dass eine zentrale Abteilung alles vorgibt. Im Gegenteil: UX soll weiter dezentral im Unternehmen etabliert werden. Jede:r im Unternehmen, der Produkte mitgestaltet, soll auch Verantwortung dafür übernehmen – natürlich mit klarer UX-Governance, aber auch mit Freiräumen zur Mitgestaltung.
„Design heißt für mich: entwerfen, gestalten, bauen. Und das können viele – wenn man ihnen die richtigen Werkzeuge gibt.“
Das bedeutet: UX-Wissen und Methoden müssen raus aus dem Expert:innenkreis – und rein in die Teams. Miriam will User-Centered Design als Denkweise in der Breite stärken.
Vielen Dank
Dieses Campfire war nicht nur spannend – es war inspirierend und konkret. Danke an Miriam Leparoux für die Offenheit, die Geschichten und die Insights aus dem UX-Alltag einer großen Marke. Danke auch an alle, die mitdiskutiert, Fragen gestellt und Impulse geliefert haben.
Und ein ganz herzlicher Dank an unseren Sponsor cxomni, der diesen Abend möglich gemacht hat.