Hang zur Übertreibung: Ein Blick hinter die menschliche Kunst der Übertreibung

Der Hang zur Übertreibung ist tief in unserer Psyche verwurzelt und beeinflusst mehr, als wir glauben. Warum aber haben wir das Gefühl, die Realität verändern zu müssen? 

May 31, 2025 - 19:05
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Hang zur Übertreibung: Ein Blick hinter die menschliche Kunst der Übertreibung

Der Hang zur Übertreibung ist tief in unserer Psyche verwurzelt und beeinflusst mehr, als wir glauben. Warum aber haben wir das Gefühl, die Realität verändern zu müssen? 

Kennst du das? Ein Gefühl wird zum existenziellen Drama und eine einfache Geschichte wächst sich zum szenischen Epos aus. Menschen neigen manchmal dazu, Ereignisse, Emotionen und Geschichten dramatischer darzustellen, als sie in Wirklichkeit waren. Doch warum tun wir das? 

"Jetzt übertreibst du aber"

Forschende haben herausgefunden, dass der Hang zur Übertreibung fest in unseren kognitiven Prozessen verankert ist. Das menschliche Gehirn ist dafür prädestiniert, Erinnerungen zu verfremden, um sie spannender und bedeutsamer erscheinen zu lassen. Wir wollen die Geschichte so erzählen, dass unsere Zuhörer:innen uns ihre Zeit schenken und haben womöglich das Gefühl, dass die Story allein nicht ausreicht und wir Ausschmückungen benötigen. Dahinter steht meist der Wunsch nach Aufmerksamkeit und Zuwendung, manchmal auch Bewunderung.

Nicht immer erfolgt die Übertreibung bewusst. Denn wir nehmen Dinge natürlich subjektiv wahr und geben sie auch subjektiv wieder. Somit schwingt in jeder Geschichte etwas Interpretation des Erzählers oder der Erzählerin mit ... 

5 Gründe, warum wir zur Übertreibung neigen

  1. Kognitive Verzerrung
    Unser Gehirn neigt dazu, Informationen auf eine Weise zu verarbeiten, die unsere Überzeugungen und Erwartungen bestätigt. Das kann dazu führen, dass wir bestimmte Aspekte der Realität überbetonen oder ignorieren, um unsere eigene Sichtweise zu legitimieren.
     
  2. Sozialer Druck
    In sozialen Situationen kann der Wunsch, dazuzugehören oder akzeptiert zu werden, dazu führen, dass wir unsere Geschichten oder Erfahrungen überdramatisieren oder anpassen, um uns besser darzustellen oder um die Zustimmung anderer zu gewinnen. Das ist komplett menschlich, denn wir sind eben soziale Wesen, die nach diesem Zugehörigkeitsgefühl streben. 
     
  3. Emotionale Gründe
    Emotionen spielen eine große Rolle in der Wahrnehmung. Wenn jemand wütend, traurig oder ängstlich ist, kann dies dazu führen, dass er in der Situationen übertreibt oder sie verzerrt wahrnimmt, um seine Gefühle zu rechtfertigen oder zu verarbeiten. Nahezu jede:r kann vermutlich mindestens eine Streitsituation nennen, in der er oder sie Superlative benutzt hat, so etwas wie "Nie hörst du mir zu" oder "Das habe ich bestimmt schon tausend Mal gesagt". Diese Art von Übertreibung passiert aus dem Affekt heraus. 
     
  4. Selbstschutz
    Manchmal kann das Verändern der Realität ein Abwehrmechanismus sein, um sich vor unangenehmen Wahrheiten oder negativen Konsequenzen zu schützen. Menschen könnten so zum Beispiel ihre eigenen Fehler oder Schwächen minimieren. In diesem Fall wird dann nicht im klassischen Sinne übertrieben, sondern eher relativiert, um sich besser darzustellen. 
     
  5. Selbstwertsteigerung
    Manche Menschen übertreiben auch gerne mal etwas, um ihr eigenes Selbstwertgefühl zu steigern. In Prüfungssituationen, in denen wir unter Druck stehen – wie zum Beispiel einem Vorstellungsgespräch – tragen wir gerne dicker auf, als nötig. Die Französischkenntnisse werden dann auf "gut" gesetzt, wenn sie eigentlich gerade so für eine einfache Essensbestellung im Urlaub reichen. Logisch, denn in Situationen, in denen es drauf ankommt, möchte man die anderen ja von sich überzeugen. 

Wenn du dazu neigst, ab und zu mal etwas zu übertreiben, dann macht dich das nicht direkt zu einem Lügner oder einer Geschichtenerzählerin. Um deine Authentizität zu wahren, kannst dich jedoch fragen – wenn du dich dabei ertappst, etwas zu überdramatisieren – ob du die Ausschmückungen überhaupt nötig hast. Oft haben wir nämlich das Gefühl, dass das, was wir zu sagen haben, nicht spannend genug ist. In den meisten Fällen stimmt das aber gar nicht. Wenn du hingegen immer wieder Drama-Storys auspackst, kommen dir deine Mitmenschen vielleicht irgendwann auf die Schliche. Bleib also lieber realistisch!