Wie die Illustrationen zur Erfolgsserie »Die Erschöpften« entstanden
»Der Zauberberg« meets »White Lotus« heißt es über den Hörspiel-Zehnteiler, der eine kluge und scharfe Satire ist, spannend und mit Tom Schilling – und mit Visuals von Eva Revolver. Wir haben bei der Hamburger Illustratorin nachgefragt, wie das ...

»Der Zauberberg« meets »White Lotus« heißt es über den Hörspiel-Zehnteiler, der eine kluge und scharfe Satire ist, spannend und mit Tom Schilling – und mit Visuals von Eva Revolver. Wir haben bei der Hamburger Illustratorin nachgefragt, wie das alles kam.
Oliver Sturm, vielfach ausgezeichnet und Regisseur für Oper, Schauspiel und vor allem auch Hörspiel, wirft in »Die Erschöpften« einen Blick in die nahe Zukunft und in ein Deutschland, in dem das Urlaubsgewährungsgesetz von jedem ein Attest verlangt, der Urlaub machen möchte.
So auch Sven Schmitz, gesprochen von Tom Schilling. Er möchte nach Namibia, darf aber nicht. Denn in einer Gesellschaft, die in Zeiten von Inflation, von Krieg, Arbeitsverdichtung und Klimakrise am Rande des Nervenzusammenbruchs ist, muss man für so eine Reise erstmals eine gewisse Urlaubskompetenz erreichen.
Deshalb wird Schmitz in eine Pre-Holiday-Klinik am Südhang des Oberen Wendelstocks geschickt, in der zehn Folgen lang – und mit zahlreichen Motiven aus »Der Zauberberg«, das Schicksal seinen Lauf. Und das 100 Jahre nach Erscheinen des Weltklassikers und zum 150. Geburtstag von Thomas Mann.
Hochgelobt und clever ist die Hörspielserie – und bebildert von der Hamburger Illustratorin und Animationskünstlerin Eva Revolver, die über einen kleinen Umweg zu diesem Traumauftrag kam. Wir haben sie gefragt, wie das kam, wie ihre Vorgaben waren und wie sie daran gearbeitet hat.
»Ich fühlte mich frei und durfte experimentieren«
Was für ein toller Auftrag, die Visuals für die Hörspiel-Serie »Die Erschöpften« zu gestalten. Wie ist es dazu gekommen?
Eva Revolver: Im April letzten Jahres kam die Anfrage per E-Mail. Michael Becker – den ich zunächst mit Michel Becker, dem Artdirektor des Handelsblatts, verwechselt habe – fragte mich kurz und knapp, ob ich Interesse an einem Projekt für die ARD Audiothek hätte. Ich war sehr überrascht, denn in meinem Portfolio war eigentlich nichts Vergleichbares zu finden. Dennoch hatte ich ein gutes Bauchgefühl und sagte sofort zu.
Die Geschichte begann jedoch schon viel früher: 2018 traf ich zufällig Felix Kubin. Mit ihm wollte ich unbedingt einmal arbeiten, da ich ein großer Fan seiner Kunst bin. Er zeigte damals allerdings kein Interesse, empfahl aber Michael, einen Blick auf mein Portfolio zu werfen. Dieser kannte mich wohl schon aus meiner damaligen Kolumne bei der Zeit und ist über meinen ungewöhnlichen Künstlernamen gestolpert. Sechs Jahre später schrieb ich also Felix eine Nachricht, um mich zu bedanken. Seine Antwort war: »Freut mich, wenn die Blumen blühen.« Also, hat alles gut geklappt!
Wie lautete deine Aufgabe genau?
Ganz wichtig: Das Coverbild. Die Besonderheit war, dass ich dieses erst später zeichnen konnte, weil anfangs noch nicht klar war, dass Tom Schilling die Hauptrolle spricht. Sein Gesicht als Sven Schmitz ziert nun den Titel.
Dann zehn Episodenbilder. Diese sollten jeweils visuell spannend sein, einen Hinweis auf den Inhalt der Episode geben und untereinander stilistisch zusammenpassen. Dazu kamen noch einen Schriftzug und kleine Ziffer-Animationen für jede Folge. Die erschöpften schwarzen Figuren auf oder neben den Ziffern haben keine Kraft mehr, die Körperspannung aufrechtzuerhalten, und legen sich auf die Ziffer, wo sie sich kurz entspannen können.
Und wie bist du vorgegangen?
Im Gegensatz zu meiner üblichen Arbeit, bei der ich nach dem Brainstorming blitzschnell Bilder fertigstelle, stand ich diesmal nicht unter Zeitdruck. Die letzte Episode habe ich sogar im Urlaub auf Sizilien illustriert. Das gesamte Projekt hat etwa ein halbes Jahr gedauert.
Lange Projekte können wirklich ein starkes Gefühl der Gemeinschaft und Zugehörigkeit schaffen, besonders wenn man sieht, wie die eigenen Beiträge über die Zeit hinweg zu einem größeren Ganzen führen. Es freut mich sehr, dass wir alle mit dem Ergebnis sehr zufrieden sind.
Konntest du die jeweiligen Folgen der Serie vorher gehört?
Ich habe die Zusammenfassungen jeder Folge schriftlich erhalten. Die komplette Hörspiel-Serie habe ich erst am 28. April gemeinsam mit allen anderen gehört und war selbst überrascht, wie gut alles zusammengepasst hat. Ich war sofort in die Serie verliebt und habe sie pausenlos mehrfach gehört.
Wie sind deine Ideen hinter der Umsetzung gewesen?
Das erste Mal in meiner 13-jährigen Arbeitserfahrung wurde ich im Laufe der Arbeit kaum korrigiert und nur gelobt. Es herrschte 100 Prozent Vertrauen in das, was ich tat. Das wirkte wie ein Dopaminstoß – ich fühlte mich frei und durfte experimentieren.
Worauf hast du speziell geachtet?
Bei freier Arbeit gelten andere Regeln als bei Editorial-Illustration. Hier gab es die besten Elemente aus beiden Welten.
Ich hatte mehr Zeit, mir vorzustellen, wie die Akteure aussehen sollten, und konnte für jede Szene die passenden Räume gestalten. Je nach Text durfte ich unzensiert auch nackte Körper zeichnen oder auch humorvoller sein. Für fast alle Figuren habe ich große Empathie entwickelt – nur für Clawdia Chauchat nicht. Doch eine gute Geschichte, wie die hier von Oliver Sturm, lässt einen ohnehin nie gleichgültig. Ich fühlte mich wie ein Kameramann, der den Moment einfängt. In meinen Bildern entwickelte ich die Geschichte. Als Zuschauer würde ich selbst gerne wissen, was weiter geschieht.
Wie genau hast du die einzelnen Motive entwickelt?
Ich habe vom NDR Motivvorschläge sowie technische Hinweise bekommen. Das Ganze orientiert sich ein bisschen an Werbeprinzipien: nicht zu viel Kleinkram, das Wichtigste befindet sich direkt in der Mitte und steht im Augenkontakt mit dem Zuschauer. Das Bild soll direkt ins Auge stechen und neugierig machen – am besten schon beim ersten Blick.
Und wie hast du die Farben ausgewählt?
Das Pink des Titels entstand als Kontrast zur Langeweile und Burnout. Das Signalrot hingegen zieht sich durch die Reihe und dient als Markierung für jede der Folgen. Rot ist das Hotel, das verführerische Kleid von Clawdia Chauchat, das Blut, das dramatisch über den Tisch fließt, das Feuer, das alles zerstört. In Rot beginnt alles und in Rot findet alles sein Ende. Rot repräsentiert den Tod und die Liebe, die Revolution und die Leidenschaft und verbindet dabei alle Elemente miteinander.
Du hast also sehr frei interpretiert?
Aus meiner Sicht muss man, wenn man als Grundlage etwas Klassisches wie Thomas Manns »Der Zauberberg« hat, nicht unbedingt optisch nah am Original bleiben. So vermeidet man die Vergleiche. Ganz abgesehen davon, wollte ich die Story zeitlos darzustellen. So habe ich meine eigene Welt gezeichnet, die eher wie ein Poster aussieht. Eigentlich arbeite ich ja mit sehr reduzierten Formen und einer klaren Farbauswahl. Jetzt möchte ich gerne meine Komfortzone verlassen und etwas Neues ausprobieren.








