Generation "Buy now, pay later": Warum sich immer mehr Leute verschulden – und es auch noch cool finden

Immer mehr junge Leute leben über ihre Verhältnisse und verschulden sich bei Online-Bezahldiensten wie Klarna – weil es noch nie so einfach war, an Geld auszugeben, das man nicht hat. Eine Psychologin erklärt, warum de "Buy now, pay later"-Effekt symptomatisch für unsere krisengeschüttelte Zeit ist.  

May 25, 2025 - 05:35
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Generation "Buy now, pay later": Warum sich immer mehr Leute verschulden – und es auch noch cool finden

Immer mehr junge Leute leben über ihre Verhältnisse und verschulden sich bei Online-Bezahldiensten wie Klarna – weil es noch nie so einfach war, an Geld auszugeben, das man nicht hat. Eine Psychologin erklärt, warum de "Buy now, pay later"-Effekt symptomatisch für unsere krisengeschüttelte Zeit ist.

 

"Coeo Inkasso ruft öfters an als meine Mutter", schreibt Wanja auf TikTok und zeigt seinen Follower:innen stolz die neueste Mahnung des Inkassobüros. Sein Profilbild zeigt einen BMW. Bei Klarna hat der junge Mann 21.589,80 Euro Schulden – rund 12.000 Euro für "unbezahlte Einkäufe" und etwa 8.000 Euro für "Ratenkäufe". Seine Follower:innen feiern ihn für sein (Luxus-)Leben auf Pump mithilfe von "Jetzt kaufen, später zahlen"-Anbietern.  

Tief im Dispo, trotzdem Disco?

Was früher verpönt war, ist heute normal und sogar cool: Unter dem Hashtag #klarnaschulden vergleichen Nutzer:innen die Höhe ihrer über die "Buy Now, Pay Later"-Funktion angehäuften Schulden und tauschen Tricks aus, wie man die Konsumkredite möglichst weit ausreizen kann. 

Freiwillig Konsumschulden machen – das wirkt auf viele befremdlich. Wieso ist die Hemmschwelle plötzlich so niedrig, vor allem bei vielen Jüngeren? "Klarna hat nur ganz geringe Mahngebühren. Zahlungen können bis zu einem halben Jahr herausgezögert werden, danach wechseln viele dann zum nächsten Anbieter, verschulden sich weiter", erzählt die Finanzpsychologin Prof. Dr. Julia Pitters im Gespräch mit BRIGITTE. Das fördere impulsive Kaufentscheidungen. Außerdem besitzen viele Jüngere (noch) keine Kreditkarte, für die ein festes Einkommen Voraussetzung ist. Und: Funktionen wie "Bezahlung nach 30 Tagen" sind deutlich niedrigschwelliger. 

Kaufen auf Pump als einzige Chance, noch irgendwie mitzuhalten 

Kein Wunder also, dass laut der neuen Trendstudie "Jugend in Deutschland 2025" jeder Fünfte zwischen 14 und 29 Jahren bereits verschuldet ist – Rekord! 2023 waren es noch 16 Prozent. Die Studienautor:innen nennen diese Zahlen "alarmierend". Eine Statista-Umfrage ergab überdies, dass rund ein Fünftel der befragten Gen-Z-Nutzer:innen sich ein Leben ohne "Buy Now, Pay Later" nicht vorstellen wollen – weil es wohl ihre einzige Chance ist, irgendwie mit den vermeintlich glamourösen Leben der anderen auf Social Media mithalten zu können. Aber auch immer mehr 35- bis 49-Jährige nutzen Ratenkredite.

"Wir hatten eine Null-Zins-Politik, die dazu führte, dass der Tenor eher lautete: Sparen ist was für Dumme", erklärt Prof. Dr. Julia Pitters, die als Professorin für Wirtschaftspsychologie an der IU Internationale Hochschule arbeitet. "Wieso soll ich mein Geld auf dem Konto liegen lassen? Das bringt sowieso nichts, ich geb’s lieber aus und habe jetzt was davon – und zapfe dafür alle möglichen Quellen an." Bei den Jüngeren käme oft noch hinzu, dass sie ohnehin nicht genug Geld hätten, um in Größeres zu investieren. 

"Vielen denken heute, sie hätten ein Recht auf Fitness- oder Nagelstudio-Besuche"

"Früher war es umgekehrt, da hat man erst geguckt, was hab ich? Was kann ich mir davon leisten?", sagt die Finanzpsychologin. "Heute denken viele, dass sie quasi das Recht auf Nagel- und Fitnessstudio-Besuche haben." Erst hinterher käme das böse Erwachen, wenn diese Rechnungen nicht bezahlt werden könnten.

Hinzu kommt, dass Superstars wie Lady Gaga, Paris Hilton oder der US-Rapper Asap Rocky Werbung für Klarna machen, deren Werbespruch lautet: "Stretch your payments!" In einem Clip sieht man einen arbeitslosen, verarmten Asap Rocky, der von seinem Umfeld für seinen verlotterten Look verspottet wird. Daraufhin nutzt er Klarna, um sich komplett neu einzukleiden – und erfährt daraufhin Anerkennung von außen. 

Schulden werden heute als normal wahrgenommen

Wenn solche Stars propagieren, dass es okay ist, sich zu verschulden, um ein gutes Leben zu führen, hat das Folgen: "Letztes Jahr habe ich im Auftrag eines großen deutschen Inkassobüros eine Umfrage unter Jugendlichen durchgeführt, die ergeben hat, dass Schulden heute als normal wahrgenommen werden", erzählt Prof. Dr. Pitters. 
Und die Verführungen nehmen stetig zu: Seit März können Nutzer:innen mit TikTok Shop noch schneller jene Produkte nachkaufen, die ihre Lieblingscreator tragen – direkt in der App. Damit entfällt nicht nur der Umweg über Onlineshops, sondern auch die "Cooling-off"-Phase, in der man von „haben wollen“ auf Vernunft umschaltet und nochmal abwägt: Kann ich mir das leisten? Brauche ich das wirklich? "Das ist natürlich verlockend für Menschen, die dazu tendieren, den Überblick zu verlieren", sagt Finanzpsychologin Prof. Dr. Julia Pitters. 

Auch Katharina Legler hat lange über ihre Verhältnisse gelebt, hat 7.061 Euro Schulden. Nun will die junge Bloggerin einen Schlussstrich ziehen. Bei TikTok nimmt sie ihre Follower:innen mit zum Briefkasten, der überquillt vor Rechnungen. "Lasst die Finger von Klarna oder 30-Tage-Ratenzahlungen", warnt sie. Auch solle man sich bloß keinen großen Kredit holen, um all die kleinen abzubezahlen. 

Klarna gleicht gesellschaftliche Schieflage kurzfristig aus 

Die Finanzpsychologin glaubt, dass wir eine trügerische Wohlstandsgesellschaft geschaffen haben. "Das sehe ich hier in Wien bei meinen Kindern an der Schule", erzählt sie. "Die Standards sind abnorm: Der eine fährt für 600 Euro auf Skifahrt, in der Wanderwoche gehen die Kinder nicht mehr in eine Jugendherberge, sondern in eine 3-Sterne-Pension. Es wird vorgegaukelt, das sei normal – aber wenn man sich anschaut, was ein Durchschnittsgehalt ist, können sich die meisten das gar nicht leisten." Dadurch entsteht eine Schieflage, die durch Klarna und Co. kurzfristig ausgeglichen werden kann. 

"Obwohl es einen Elternverein gibt, der Einkommensschwachen unbürokratisch helfen könnte, meldet sich dort niemand, weil die Scham zu groß ist und teilweise lieber ein Kredit aufgenommen wird", sagt Prof. Dr. Julia Pitters. Schulen müssten eine Norm setzen, die sich am Durchschnittsgehalt orientiert. "Wenn Ausgaben höher sind, verzerrt sich das Geldverständnis unserer Gesellschaft dahingehend, dass die Leute immer mehr in Zugzwang kommen und über ihre Verhältnisse leben." – So wie ASAP Rocky in dem Klarna-Werbespot. 

"Egal"-Einstellung durch Krisenstimmung und Inflation

Außerdem klaffe eine Schere zwischen reichen Erben und denen, die lebenslang mieten. "Die so viel arbeiten können, wie sie wollen – gewisse Dinge werden sie sich zumindest im Alltag nie leisten können", analysiert die Finanzpsychologin. Durch diese Ungerechtigkeit entstehe das Gefühl: Kauf' ich eben auf Pump, damit ich auch ein gutes Leben führen kann. Kriege vor der Haustür, die Rezession oder Klimakrise würden dabei als zusätzlicher Stressor wirken. "Man kann damit gut umgehen, solange man ein stabiles Umfeld hat: einen Job, genug Geld", sagt Prof. Dr. Julia Pitters. Wenn im Mikrokosmos viel schieflaufe, würden einige eine "jetzt ist sowieso alles egal"-Einstellung entwickeln. 

Die Gefahr dabei: "Was du dir jung angewöhnst, Schulden zu machen, kannst du es dir später schwer wieder abgewöhnen", weiß die Finanzpsychologin. Das sei wie bei Fettleibigkeit: "Wenn du einem schlanken Menschen eine Packung Chips vor die Nase stellst, ist es kein Problem, wenn er sich das ab und zu gönnt. Bei übergewichtigen Menschen, die sowieso schon dagegen ankämpfen, ist es pures Gift. Viele denken gar nicht darüber nach, dass sich Schulden auch negativ auf den SCHUFA-Score auswirken und sie dadurch später Probleme bekommen könnten, eine Wohnung zu finden."

Hausfrauenmethode "Cash-Stopping" 

Derweil breitet sich auf TikTok ein Gegentrend aus – eine alte Hausfrauenmethode, mit der man es schafft, nicht über seine Verhältnisse zu leben: das gesamte Monatseinkommen abheben, in Briefumschläge verteilen und beschriften, welches Geld wofür vorgesehen ist und dann auch nicht mehr ausgeben. "Diese Methode wurde "Cash-Stopping" genannt und auf TikTok verbreitet", sagt Prof. Dr. Julia Pitters. In den USA ergab letztes Jahr eine repräsentative Umfrage, dass "Cash-Stopping" dazu geführt hat, dass junge Leute wieder mehr Bargeld verwenden – und sich dadurch weniger verschulden. 

Trotzdem sieht die Finanzpsychologin gerade bei jungen Menschen einen massiven Nachholbedarf in Sachen Finanzwissen und warnt vor "FinFluencer:innen", also selbsternannte Finanzgurus oder Schuldnerberater:innen, die in den sozialen Medien zum Teil unseriöse Ratschläge geben. Ein Lichtblick: In Österreich gibt es "Finanzen" jetzt endlich als Schulfach, hoffentlich zieht Deutschland bald nach. Vielleicht wird dort auch Benjamin Franklin zitiert, der einmal sagte: ‍"Hüte dich vor kleinen Ausgaben. Ein kleines Leck kann ein großes Schiff zum Sinken bringen."