Ist Mitgefühl out?: "Empathie ist eine Entscheidung für ein Wertesystem"

Ist Empathie out? Im Gegenteil – findet die Managerin und Buchautorin Lunia Hara: Gerade in rauen Zeiten brauchen wir mehr Einfühlungsvermögen im Job. Doch wie kann das funktionieren?

Jun 8, 2025 - 02:00
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Ist Mitgefühl out?: "Empathie ist eine Entscheidung für ein Wertesystem"

Ist Empathie out? Im Gegenteil – findet die Managerin und Buchautorin Lunia Hara: Gerade in rauen Zeiten brauchen wir mehr Einfühlungsvermögen im Job. Doch wie kann das funktionieren?

BRIGITTE: Tech-Bosse in den USA schwärmen mit Präsident Donald Trump von "maskuliner Energie", streichen Maßnahmen für Vielfalt und Gleichstellung und fordern Ähnliches auch von deutschen Unternehmen. Passt Empathie im Berufsleben überhaupt noch zum Zeitgeist?

Lunia Hara: Diese Entwicklungen sind schockierend, keine Frage. Auch für mich. Aber das Ohnmachtsgefühl hält nicht lang an, ich frage mich dann lieber: Was sind die Strategien hinter diesem Verhalten?

Wie würden Sie die Strategien beschreiben?

Menschen wie Donald Trump arbeiten damit, anderen Angst zu machen, und sie arbeiten mit Ablenkung. Etwa, indem sie das Thema Diversity verteufeln und Ressentiments bedienen, statt wichtige wirtschaftliche Fragen zu adressieren. Wenn wir das durchschauen, können wir handlungsfähig bleiben und uns weiter für Empathie einsetzen.

Was bedeutet der Begriff im Jobkontext?

Eine Arbeitskultur, die auf vier Säulen beruht: Feedback, Menschlichkeit, Offenheit und Selbstreflexion. Das tut nicht nur den Einzelnen gut, sondern wir wissen auch, dass Menschen in einem solchen Umfeld kreativer und loyaler sind. Laut einer Studie der Organisation Catalyst, die sich für Geschlechtergerechtigkeit am Arbeitsplatz einsetzt, fühlen sich 61 Prozent der Mitarbeitenden durch empathische Führungskräfte in ihrer Innovationskraft gestärkt. Und fast zwei Drittel aller Befragten einer Studie von Microsoft berichten unter solchen Bedingungen von hoher Zufriedenheit in ihrem Job.

Das klingt, als sei Empathie eine Win-win-Situation. Aber was ist, wenn mein Chef ein Patriarch alter Schule ist, der sich vom autoritären Kulturwandel nur bestätigt fühlt?

Ich weiß, dass die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung vielen Angst macht. Ich höre oft: Lunia, ich bin die Einzige in meiner Firma, die für Empathie einsteht, was soll ich machen? Meine Antwort ist immer: Dann bist du gerade richtig dort, um Veränderung anzustoßen! Sonst überlässt du das Feld den anderen.

Wie kann man denn einen Chef oder eine Chefin zu einer empathischeren Firmenkultur bewegen?

Man kann Wünsche äußern: Was fehlt mir, was brauche ich, um gut arbeiten zu können? Und man kann vermitteln: Ich bin gerne hier, ich mag meinen Job und möchte meinen Beitrag leisten, dafür brauche ich Folgendes ...

Und wenn ich mich damit nicht durchsetze?

Dann kann ich immer noch gehen, aber erhobenen Hauptes. Wenn man sich hingegen nicht traut, für die eigenen Bedürfnisse einzustehen und stattdessen einfach geht, dann nimmt man die Angst mit ins neue Unternehmen.

Aber funktioniert Empathie nicht nur dann, wenn alle an einem Strang ziehen? Sonst nutzen die einen die anderen aus. Oder merken nicht mal, dass die sich aufopfern.

Das höre ich oft! Die Lösung ist aber nicht, selbst nicht mehr nett und einfühlsam zu sein. Sondern sich die eigenen Grenzen bewusst zu machen.

Angenommen, eine Kollegin macht privat eine harte Zeit durch. Ich weiß das und nehme ihr viel Arbeit ab. Das wäre empathisch, könnte mich aber langfristig auslaugen.

Da wäre der erste Schritt Kommunikation, klares Feedback. Etwa, indem ich ihr transparent mache, wie ich mich dabei fühle – vielleicht hat sie ja einen ganz anderen Blick auf die Situation. Vielleicht ist es auch ein strukturelles Problem, dann können Sie beide der nächsthöheren Ebene signalisieren: Hier läuft etwas schief.

Und was ist, wenn ich mit einer Kollegin in Konkurrenz bin – etwa weil wir beide befördert werden möchten, es aber nur eine Stelle gibt?

Das ist eine Kraftprobe, keine Frage. Ich kenne diese Situation selbst, auch ich stand schon vor der Frage: Bringe ich mich selbst für eine Position in Stellung oder schlage ich eine Kollegin vor, einfach weil ich weiß, dass sie die bessere dafür wäre? So viel Selbstreflexion kann schmerzhaft sein. Schließlich habe ich mich erfolgreich durchgerungen, die andere Person zu empfehlen. Einfach, weil es für alle die beste Lösung war – für die Firma, für sie, am Ende auch für mich.

Dafür haben Sie bei der Kollegin jetzt aber was gut, oder?

Natürlich hat es immer auch einen Netzwerkeffekt, sich gegenseitig zu fördern. Es wäre aber ein Fehler, zu denken: Genau diese Person schuldet mir jetzt einen Gefallen. Meine Grundhaltung dahinter ist eher: Was ich in ein System hineingebe, kommt in irgendeiner Form zurück. Ich kann aber nicht beeinflussen, wo und wie.

Die Zeiten werden wirtschaftlich härter, man könnte argumentieren: Soft Skills sind eher zweitrangig, wenn Mitarbeitende Angst um ihre Existenz haben – und Führungskräfte um den Fortbestand ihrer Firma.

Das wäre ein Denkfehler. Wenn Chef:innen in Krisen mit Angst und Druck führen, machen sie ihre Mitarbeitenden nur stumm und treiben sie in die innere Emigration, statt ihre Zugehörigkeit zur Firma zu stärken. Empathie heißt auch nicht, dass es keine harten Entscheidungen mehr geben darf. Oder dass alle soft sind statt durchsetzungsstark.

Sondern?

Empathie hilft gerade auch beim Überbringen schlechter Nachrichten, bei harten Schritten wie Entlassungen. Wie gestalten wir diesen Prozess, wie können wir die unterstützen, von denen wir uns trennen müssen – in Form von Zeugnissen, Empfehlungen, Beratungsgesprächen, auch von aufrichtigem Dank?

Die Freude dürfte sich bei den Betroffenen in Grenzen halten.

Klar, niemand ist glücklich, wenn er entlassen wird, egal wie empathisch das passiert. Aber er oder sie behält zumindest im Gedächtnis: Der Prozess war fair und transparent, ich verstehe, warum es nicht anders ging, und der Weg zurück ist auch nicht ganz verschlossen.

Als Schwarze Frau haben Sie in Ihrer Karriere nicht nur empathische Führung erlebt, sondern auch das Gegenteil, inklusive handfester Diskriminierung. Was hat Sie davor geschützt, selbst zu verhärten?

Empathie ist eine Entscheidung für ein Wertesystem, die ich bewusst getroffen habe. Die wenigsten Menschen, ob Führungskraft oder Mitarbeitende, haben selbst diesen Stil erlebt – trotzdem kann man diese Gewohnheiten aktiv durchbrechen. Auf allen Ebenen. Als Chefin habe ich mir zum Beispiel angewöhnt, mir Feedback von meinen Teammitgliedern einzuholen. Ich bitte sie regelmäßig, meine Arbeit zu bewerten: Was fehlt dir, was kann ich besser machen?

Lunia Hara, 1974 in Sambia geboren, kam als Kind nach Deutschland. Sie ist heute Führungskraft bei der VW-Tochter Diconium, Speakerin und Buchautorin. In "Empathische Führung" (256 S., 24 Euro, DVA) beschreibt sie anhand eigener Berufserfahrungen in verschiedenen Branchen Empathie als Superkraft, die allen guttut – der eigenen Psyche wie der Bilanz.
Lunia Hara, 1974 in Sambia geboren, kam als Kind nach Deutschland. Sie ist heute Führungskraft bei der VW-Tochter Diconium, Speakerin und Buchautorin. In "Empathische Führung" (256 S., 24 Euro, DVA) beschreibt sie anhand eigener Berufserfahrungen in verschiedenen Branchen Empathie als Superkraft, die allen guttut – der eigenen Psyche wie der Bilanz.

Dazu gehören Selbstbewusstsein und der Wille zu Selbstreflexion.

Auf jeden Fall. Ich muss mich immer wieder hinterfragen: Welche Glaubenssätze habe ich eigentlich selbst verinnerlicht?

Wie beantworten Sie das für sich persönlich?

Ich bin als zehnjähriges Mädchen von Sambia nach Deutschland gekommen, zu meiner älteren Schwester. Das war eine Art Kulturschock, ich lernte: Du musst dich anpassen, um akzeptiert zu werden. Damals war das sicherlich eine sinnvolle Strategie – heute würde sie mir eher im Weg stehen, denn wer sich zu sehr anpasst, wird übersehen, sticht nicht heraus.

Das heißt: Glaubenssätze aus der Kindheit stehen uns im Berufsleben eher im Weg?

Nein, manche helfen uns auch. Fairness ist für mich zum Beispiel ein wichtiges Thema, auch weil ich aus einer großen Familie mit vielen Geschwistern komme und mich als Jüngste immer darum bemühen musste, nicht zu kurz zu kommen. Deshalb gehen bei mir sofort die Warnlampen an, wenn ich das Gefühl habe, jemand in meinem Team wird übersehen. Ich versuche dann, gegenzusteuern. Wenn wir wissen, was uns prägt, können wir auch jederzeit neu definieren, wer wir sein wollen.