Eine Gartenparty für 21.000 Menschen - So war das Sónar Lisboa Festival

Sónar Lisboa: Mitten in der portugiesischen Hauptstadt, zwischen Palmen, Beton und Frühlingssonne, feiern bei der diesjährigen zweiten Ausgabe des Festival-Ablegers rund 21.000 Besucher:innen. Abseits des Mainstage-Geschehens entdeckt unser Autor Matti Hummelsiep kaum bekannte Genres wie Latin Electronics und Talismane mit Haaren verstorbener Katzen. Festivals können echt nerven: lange Schlangen überall, Pfandmarken, ewiges Trotten von da nach dort, kreischende Werbung, Glitzer. Wie ist eigentlich das Sónar Lisboa? Erstmal eine gut geölte Festivalmaschine. Eigentlich mehr eine übergroße Gartenparty ohne Open End: zentrale Location mit viel Grün, keine Schlangen, kurze Wege, moderate Getränkepreise und ein für 21.000 Gäste aufregendes Lineup, obwohl mir der Hang zu High-bpm-Techno nicht abgeht. Ein Festival für all diejenigen, die Festivals mit übervollen Floors mit übervollen Lineups aus dem Weg gehen, schon allein deswegen, weil man das meiste an Programm eh nicht schafft. Minuspunkt: Leider herrschte jeweils nachmittags doch recht lange gähnende Leere. Im Backstage, zwischen Produktionsbüro und Müllcontainern, sitzt Enric Palau. Es ist der Mann, der 1994 das legendäre Sónar Barcelona mit initiierte. Und von so einem kommen dann Sätze wie: „Ein guter Song kann deinen Tag retten. Ein tolles Konzert kann dein Leben verändern. Mein Leben hat sich schon zig Mal verändert.“ Palau spricht langsam und bedacht, als wäre das Wummern der Bässe und Johlen der Leute von drinnen nicht zu hören. Den Sinn von Festivals bringt er auf den Punkt: „Das Festival ist eine Plattform für das physische Erlebnis. Es gibt keine digitale Plattform, die das Live-Erlebnis ersetzen kann. Das Live-Erlebnis steht für die Körperlichkeit eines Songs, das, was man auf der Bühne sieht, und die körperliche Erfahrung, diesen Moment mit seinen Freunden zu teilen.“ Risiken und Nebenwirkungen von Festivals Für Gustavo Pereira sind Festivals die Highlights im Kalender. Die Pflichttermine, wenn man denn so will, finden allerdings in den Clubs statt. Die Basis der Technoszene, die man pfleglich behandeln möchte. (Portugiesische) Kollektive, Künstler und Communitys möchte man stärken und authentisch repräsentieren, sagt der Chef des Sónar in Lissabon. Der Haken an der Sache: Die Zahl der Festivals stieg lange Zeit stetig. Jetzt machen sie der globalen Clubszene Konkurrenz: „Die Teenager haben in der Coronazeit gestreamt und die Clubkultur nicht kennenlernen können. Ihnen fehlen diese Erlebnisse komplett. Das ist aber nicht der einzige Grund für die kriselnden Clubs. Es sieht so aus, als ob diese Leute ihr Geld eher für bestimmte Events oder Festivals sparen, als jedes Wochenende in Clubs zu gehen. Festivals können ein Problem sein. Sage ich, der selbst eines macht.“* Pereira macht einen erstaunlich entspannten Eindruck dafür, dass hier in diesem Moment sein Festival über die Bühne geht. Sein herzliches Lachen ist ansteckend. Ein Mensch, mit dem man jederzeit gerne einen Kaffee oder ein Bier trinken möchte. Seit 25 Jahren ist er im Geschäft und kennt die portugiesische Szene in- und auswendig. Und deswegen fiel die Wahl als Verantwortlichen wohl auf ihn, als das Sónar nach dem Lockdown nach Portugal expandierte. 2025 ging die vierte Ausgabe in Lissabon über die Bühne. Die Vision war anfangs allerdings zu komplex gedacht: „In Sachen Produktion war das eine große Herausforderung für uns. Es fühlte sich an, als würden wir vier Festivals gleichzeitig machen. Wir sind dann einen Schritt zurückgetreten, wollten es fortan intimer machen. Seitdem konzentrieren wir uns nur auf diesen Ort.“ Wo drückt der Schuh bei Festivals im Moment am meisten? Selbstverständlich sind die steigenden Fixkosten ein großes Problem. Ein weiteres sind die zum Teil exorbitanten Gagen von Headlinern, die man irgendwann eventuell nicht mehr bedienen kann, so Pereira. Ob Karl Hyde und Rick Smith da wohl hellhörig wurden, deren „Backstage“ nur durch eine große Decke mit der Aufschrift „Underworld“ von unserer Interviewecke abgetrennt war? Ein Teufelskreis: Headliner ziehen die Massen an, doch die steigenden Ticketpreise können sich nicht alle leisten. Und: Der Markt der Festivals ist übersättigt, die Konkurrenz groß. Verlierer sind am Ende alle: die Besucher:innen, die Promoter:innen, die Manager:innen und wer da noch so alles dranhängt. Eine Oase mitten in Lissabon Zum Festival geht es den zentral gelegenen Park Eduardo VII ein kleines Stück hinauf. Von oben hat man einen fantastischen Blick durch die Schneise der riesigen Av. da Liberdade runter zum Tejo. Direkt angrenzend der Pavilhão Carlos Lopes, ein historisches Gebäude mit reichlich portugiesischen Fliesen (Azulejos) und Stuck. Das Gebäude drinnen komplett umgebaut zu einer modernen Mehrzweckarena. Drumherum ein großer Garten, viele Bäume, Bierstände, Foodtrucks. Durch die sehr kurzen Wege zwischen den zwei übersichtlichen Bühnen draußen und der großen Rave Area drinnen, kennt man bald einige Gesichter. Gefühlt sind vor allem Por

Jun 19, 2025 - 00:45
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Eine Gartenparty für 21.000 Menschen - So war das Sónar Lisboa Festival
Sonar Lissabon Ein alter Palast in Lissabon mit Festival Flagge 2025

Sónar Lisboa: Mitten in der portugiesischen Hauptstadt, zwischen Palmen, Beton und Frühlingssonne, feiern bei der diesjährigen zweiten Ausgabe des Festival-Ablegers rund 21.000 Besucher:innen. Abseits des Mainstage-Geschehens entdeckt unser Autor Matti Hummelsiep kaum bekannte Genres wie Latin Electronics und Talismane mit Haaren verstorbener Katzen.

Festivals können echt nerven: lange Schlangen überall, Pfandmarken, ewiges Trotten von da nach dort, kreischende Werbung, Glitzer. Wie ist eigentlich das Sónar Lisboa? Erstmal eine gut geölte Festivalmaschine. Eigentlich mehr eine übergroße Gartenparty ohne Open End: zentrale Location mit viel Grün, keine Schlangen, kurze Wege, moderate Getränkepreise und ein für 21.000 Gäste aufregendes Lineup, obwohl mir der Hang zu High-bpm-Techno nicht abgeht. Ein Festival für all diejenigen, die Festivals mit übervollen Floors mit übervollen Lineups aus dem Weg gehen, schon allein deswegen, weil man das meiste an Programm eh nicht schafft. Minuspunkt: Leider herrschte jeweils nachmittags doch recht lange gähnende Leere.

Im Backstage, zwischen Produktionsbüro und Müllcontainern, sitzt Enric Palau. Es ist der Mann, der 1994 das legendäre Sónar Barcelona mit initiierte. Und von so einem kommen dann Sätze wie: „Ein guter Song kann deinen Tag retten. Ein tolles Konzert kann dein Leben verändern. Mein Leben hat sich schon zig Mal verändert.“ Palau spricht langsam und bedacht, als wäre das Wummern der Bässe und Johlen der Leute von drinnen nicht zu hören. Den Sinn von Festivals bringt er auf den Punkt: „Das Festival ist eine Plattform für das physische Erlebnis. Es gibt keine digitale Plattform, die das Live-Erlebnis ersetzen kann. Das Live-Erlebnis steht für die Körperlichkeit eines Songs, das, was man auf der Bühne sieht, und die körperliche Erfahrung, diesen Moment mit seinen Freunden zu teilen.“

Risiken und Nebenwirkungen von Festivals

Für Gustavo Pereira sind Festivals die Highlights im Kalender. Die Pflichttermine, wenn man denn so will, finden allerdings in den Clubs statt. Die Basis der Technoszene, die man pfleglich behandeln möchte. (Portugiesische) Kollektive, Künstler und Communitys möchte man stärken und authentisch repräsentieren, sagt der Chef des Sónar in Lissabon. Der Haken an der Sache: Die Zahl der Festivals stieg lange Zeit stetig. Jetzt machen sie der globalen Clubszene Konkurrenz: „Die Teenager haben in der Coronazeit gestreamt und die Clubkultur nicht kennenlernen können. Ihnen fehlen diese Erlebnisse komplett. Das ist aber nicht der einzige Grund für die kriselnden Clubs. Es sieht so aus, als ob diese Leute ihr Geld eher für bestimmte Events oder Festivals sparen, als jedes Wochenende in Clubs zu gehen. Festivals können ein Problem sein. Sage ich, der selbst eines macht.“*

Pereira macht einen erstaunlich entspannten Eindruck dafür, dass hier in diesem Moment sein Festival über die Bühne geht. Sein herzliches Lachen ist ansteckend. Ein Mensch, mit dem man jederzeit gerne einen Kaffee oder ein Bier trinken möchte. Seit 25 Jahren ist er im Geschäft und kennt die portugiesische Szene in- und auswendig. Und deswegen fiel die Wahl als Verantwortlichen wohl auf ihn, als das Sónar nach dem Lockdown nach Portugal expandierte. 2025 ging die vierte Ausgabe in Lissabon über die Bühne. Die Vision war anfangs allerdings zu komplex gedacht: „In Sachen Produktion war das eine große Herausforderung für uns. Es fühlte sich an, als würden wir vier Festivals gleichzeitig machen. Wir sind dann einen Schritt zurückgetreten, wollten es fortan intimer machen. Seitdem konzentrieren wir uns nur auf diesen Ort.“

Wo drückt der Schuh bei Festivals im Moment am meisten? Selbstverständlich sind die steigenden Fixkosten ein großes Problem. Ein weiteres sind die zum Teil exorbitanten Gagen von Headlinern, die man irgendwann eventuell nicht mehr bedienen kann, so Pereira. Ob Karl Hyde und Rick Smith da wohl hellhörig wurden, deren „Backstage“ nur durch eine große Decke mit der Aufschrift „Underworld“ von unserer Interviewecke abgetrennt war? Ein Teufelskreis: Headliner ziehen die Massen an, doch die steigenden Ticketpreise können sich nicht alle leisten. Und: Der Markt der Festivals ist übersättigt, die Konkurrenz groß. Verlierer sind am Ende alle: die Besucher:innen, die Promoter:innen, die Manager:innen und wer da noch so alles dranhängt.

Eine Oase mitten in Lissabon

Zum Festival geht es den zentral gelegenen Park Eduardo VII ein kleines Stück hinauf. Von oben hat man einen fantastischen Blick durch die Schneise der riesigen Av. da Liberdade runter zum Tejo. Direkt angrenzend der Pavilhão Carlos Lopes, ein historisches Gebäude mit reichlich portugiesischen Fliesen (Azulejos) und Stuck. Das Gebäude drinnen komplett umgebaut zu einer modernen Mehrzweckarena. Drumherum ein großer Garten, viele Bäume, Bierstände, Foodtrucks.

Durch die sehr kurzen Wege zwischen den zwei übersichtlichen Bühnen draußen und der großen Rave Area drinnen, kennt man bald einige Gesichter. Gefühlt sind vor allem Portugiesen hier, die gängigen Festivalsprachen sind aber auch nicht zu überhören. Altersmäßig auffallend durchmischt, junge Raver:innen und ältere Semester. Viel Security, gewöhnungsbedürftig. Bierpreise? Angenehm, weil unter fünf Euro. Wenig überraschend, dass es bei den Headlinern à la Modeselektor, Underworld, Richie Hawtin und Jeff Mills (Foto- und Filmverbot, so cringe), die die Nacht übernommen haben, besonders voll wurde.

Latin Electronics kaum bekannt

DJ Lomalinda hat gerade sein mit Latin Sounds gespicktes Set im SonarPark abgefeuert und die überdachte Tanzfläche am Nachmittag gut gefühlt. Schon Minuten später beschreibt er im Interview die hybride Musikszene Südamerikas. Zusätzlich zum experimentell orientierten Label Insurgentes gründete er mit Freunden 2020 das Label TraTraTrax. Eine Plattform für ganz unterschiedliche Styles aus Lateinamerika: „Es gibt Raptor House aus Venezuela, Guaracha, oder eine Art elektronischen Cumbia. Wir wissen immer noch nicht, wie wir die Musik, die wir releasen, eigentlich nennen wollen. Das Label Príncipe [Anm.: Label aus Lissabon] ist da schon weiter und hat verschiedene Stile aus Angola, wie Kuduro oder Taraxo, herauskristallisiert. Lateinamerika steht da noch am Anfang.“ Tatsächlich ist die portugiesische Technoszene, ein Mix aus westlichen Technogenres und musikalischen Einflüssen der hiesigen Diaspora aus Ländern wie Mosambik, Kap Verde, Angola oder Brasilien mit Labels wie Enchufada und Príncipe international schon bekannter.

Das Label entwickle sich sehr gut, resümiert DJ Lomalinda. TraTraTrax ist irgendwie auch eine Mission: „Wir wollten nicht Leute aus dem globalen Norden unsere Geschichte erzählen lassen. Wir wollten sie selbst erzählen. Die Idee war relativ naiv am Anfang.“ Im globalen Norden sei das Interesse an Latin Electronics, wie sie den Sound im Moment nennen, immer noch nicht sehr groß: „Ich habe das Gefühl, dass dortige Medien manchmal gar nicht den Weitblick für Musik aus anderen Ecken der Welt haben. Es wird nicht über den Tellerrand geschaut. Manche versuchen es aber.“

Maria Callapez hat einen Traum

Die portugiesische DJ und Produzentin ist im atmosphärischen Techno zu Hause – Ambient mit experimentellem Touch. Schon mit vier Jahren hat sie Klavier gelernt, und das gestaltete den Übergang zu Synthesizern entsprechend einfacher: „Klassische Musik beeinflusst mich auf jeden Fall beim Produzieren. Es gibt mir die Grundlagen, um neue Sounds zu entdecken. Ich finde aber, Musik entwickelt sich zu schnell weiter und es fehlt oft das Gefühl. Das finde ich nicht gut.“

2019 hat die junge Künstlerin zu spielen angefangen. Wenn sie auflegt, spielt sie allerdings Deep Techno: „Ich habe natürlich viel Musik gehört, bevor ich mit Livesets angefangen habe. Ich sagte mir, das will ich auch. Ich will auch nichts anderes machen. Ich hoffe, dass ich das schaffe.“

Zumindest hat sie das Booking vom Sónar Lisboa überzeugt und mit Das Filter ihr erstes Interview überhaupt gemacht. Ob sie ein bestimmtes Rituale habe, bevor sie auf die Bühne geht? „Freunde haben mir mal ein paar nette Botschaften aufgeschrieben und mir diese Zettel mitgegeben. Die habe ich immer dabei und die geben mir Kraft. Und (lacht): In meinem Case habe ich einen Stift dabei. In der Kappe ist ein Haar meiner toten Katze drin. Das bringt mir Glück.“

Was bleibt? Das Sónar Lisboa ist die entspannte Variante des oft eher energieraubenden Festivalerlebnisses. Das Booking ist etwas für Feinschmecker und Neugierige diverser Clubsounds der portugiesischen Diaspora (aber nicht nur!). Gustavo Pereira hat seine Erfolgsformel für ein gutes Festival definiert: „Festivals brauchen ein Finetuning, eine klare Identität. Das ist der Schlüssel. Es geht um das Erlebnis. Das Venue ist entscheidend und dass wir allen Beteiligten gute Konditionen anbieten können.“ Beim Sónar Lisboa, dass auch 2026 den internationalen Sónar-Reigen eröffnen wird, scheint dieses Konzept aufzugehen. Headliner? Ja. Aber lokale Labels und Communitys sind mindestens ebenso wichtig.

Dieser Text war bereits vor mehreren Wochen fertig und bereit für die Veröffentlichung. Doch von der Presse-Abteilung des Sónar erreichte uns die „Bitte“, die Veröffentlichung zu verschieben. Die Gründe dafür sind offensichtlich, und wir hätten dem Wunsch nicht entsprechen müssen. Wir stellen den Text nun endlich online. Transparenzhinweis: Sónar Lisboa hat die Reisekosten für unseren Autor übernommen.