Schönheitsdruck bei Männern: Wenn der Wunsch nach Muskeln zum gefährlichen Leiden wird

Während Essstörungen traditionell oft mit Mädchen assoziiert werden, leiden immer mehr junge Männer unter Muskeldysmorphie, umgangssprachlich Muskelsucht. Was steckt hinter dem gefährlichen Trend?

Jun 16, 2025 - 02:30
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Schönheitsdruck bei Männern: Wenn der Wunsch nach Muskeln zum gefährlichen Leiden wird

Während Essstörungen traditionell oft mit Mädchen assoziiert werden, leiden immer mehr junge Männer unter Muskeldysmorphie, umgangssprachlich Muskelsucht. Was steckt hinter dem gefährlichen Trend?

"Meinen Sohn bekomme ich nicht mehr zu Gesicht, der ist nur noch in der Muckibude", erzählt meine Freundin neulich beim Kaffee. "Ich mache mir langsam Sorgen, alles dreht sich nur noch um seinen Körper."

Max ist 17 und ziemlich muskulös. Breite Schultern, dicker Bizeps. Ich denke zurück an meine Schulzeit. Eine schlaksige Silhouette, schmale Schultern, dünne Beine, das war damals die Standardfigur für Jungs ab 15 Jahren. Heute will so niemand mehr so aussehen – um es in Max' Worten auszudrücken, wie ein "Lauch" eben. Es grassiert scheinbar eine enorme Angst vorm Schmächtigsein.

Bei Mädchen Magersucht, bei Jungen Muskelsucht?

Verstärkt durch Social Media hat sich in den letzten Jahren nicht nur das Körperidealbild von jungen Frauen, sondern auch von jungen Männer geändert. "Essstörungen treten zwar immer noch zu 90 Prozent bei Mädchen und Frauen auf, dafür ist bei Jungen eine körperdysmorphe Störung wahrscheinlicher", erklärt Professor Silja Vocks, die an der Universität Osnabrück zu Körperbild- und Essstörungen forscht.

Menschen, die unter Muskeldysmorphie oder umgangssprachlich Muskelsucht leiden, sind unzufrieden mit ihrer Muskulatur. Im Fokus stünde eben, möglichst muskulös auszusehen, so Vocks. Meist gehe das einher mit ausgeprägtem Diätverhalten, also viele Proteine und wenig Fett, sowie exzessivem Training über die Belastungsgrenze hinaus. Es ist ein stiller Leidensdruck, dem vor allem junge Männer ausgesetzt sind: Laut einer US-Studie finden viele genau solche Körper am attraktivsten, die durchschnittlich 14 Kilogramm mehr Muskelmasse haben als ihr eigener. 

Obwohl Muskeldysmorphie ein eher seltenes Phänomen ist, sollte man die klinische Relevanz laut Silja Vocks nicht unterschätzen. Insbesondere wenn die Körperwahrnehmungsstörung voll ausgeprägt auftritt, sind die Zwänge sehr einschränkend – und auch die Suizidraten seien hoch. 

Mögliche Warnsignale

Meine Freundin sagt, Max könne nur noch in den Urlaub fahren, wenn es dort ein Gym gebe. Zudem würde er regelmäßig Verabredungen absagen, weil er es sonst nicht mehr ins Training schaffe. Er selbst sieht kein Problem, alle machen das ja so. 

"Sport an sich ist erst mal etwas Gutes", erklärt Silja Vocks. "Gefährlich wird es, wenn der Körper zu sehr im Fokus steht und das Leben und die Gedanken wirklich nur noch um Muskelaufbau kreisen, alles andere nebensächlich wird. Man kein Interesse mehr an sozialen Beziehungen hat, nicht mehr in der Schule mitkommt und beim Essen nur noch daran denkt, wie man sich jetzt am besten ernährt, dass die Muskeln wachsen oder zumindest erhalten bleiben."

Extreme sind nie gut. Sobald nicht mehr nach Hunger und Sättigung gegessen wird, sondern nur noch nach einem strikten Diätplan, sollte man sich hinterfragen. Stichwort: Drei Packungen Magerquark am Tag und 1 Kilo Hähnchen sind keine ausgewogene Ernährung, sondern Mittel zum Zweck. Auch wenn Eltern bei ihren Kindern beobachten, dass sie sich ständig auf der Waage kontrollieren, ihre gesamte Ernährung mit einer App tracken oder im Spiegel Bodychecking betreiben, sei das laut Vocks bedenklich. 

"Wenn dann noch Körper-ablehnende Aussagen fallen wie 'ich bin zu dünn/dick/hässlich' sind das Warnsignale, die in Richtung Körperbild- und Essstörung gehen können", erklärt die Expertin. 

Woher kommt der Druck?

Die Betroffenen selbst merken es meist nicht, wenn der Sport zum Zwang geworden ist, denn in Zeiten von Fitnesskult und Optimierungswahn gilt das Kreisen um das Erscheinungsbild als sozial akzeptiert. Frauen sollen möglichst schlank sein, Männer muskulös. Das ist eben das Schönheitsideal, das derzeit propagiert wird – egal ob in Modezeitschriften, auf den Laufstegen oder eben auf Social-Media-Plattformen, auf denen Jugendliche täglich mehrere Stunden verbringen. 

Muskeln sind dabei das "männlichste" aller Attribute, so wird es uns von klein auf suggeriert. Jedenfalls gibt es keinen Action-Helden, der nicht ein wahrhaftiges Muskelpaket ist, oder? Kein Wunder, dass junge Menschen davon beeinflusst werden. Außerdem lässt sich mit dem Fitnesskult viel Geld verdienen. Influencer:innen verkaufen ihre Trainingspläne, Proteinshakes und andere Nahrungsergänzungsmittel, alles mit dem Versprechen auf den vermeintlich perfekten Körper. Am Ende bringt der definierte Adonis-Body vielleicht kurzweilig Anerkennung, bevor der nächste Mangel entdeckt wird, den es zu beseitigen gilt.